24 ARTISET 06 I 2024 Zuversicht trotz ungewisser Zukunft Celina und Thalya, beide um die 20, haben einen Teil ihrer Kindheit und Jugend in einem Heim verbracht. Vor einem Jahr haben sie an einem Theatervermittlungsprojekt teilgenommen, das einen Wendepunkt in ihrem bisherigen Leben bedeutete und ihnen geholfen hat, den Sprung in die Selbstständigkeit zu schaffen – mit Vertrauen und Wünschen für die Zukunft. Von Anne-Marie Nicole «Man erhält Sozialhilfe, ist aber ganz allein. Am Anfang habe ich oft geweint, als ich nach Hause kam, ich hatte keine Lust mehr auf dieses Leben.» Celina Von der metallenen Passerelle aus lässt Celina Chraiet ihren Blick durch den leeren, halbdunklen Theatersaal schweifen. «In diesem Theater zu sein, weckt schöne Erinnerungen, ich mag diesen Ort», sagt sie. Neben ihr steht Thalya Casmiro und pflichtet ihr bei: «Diese Atmosphäre wieder zu spüren, ist ein bisschen wie nach Hause zu kommen.» Beide waren nicht mehr ins Theater Comédie de Genève zurückgekehrt, seit sie vor einem Jahr an einem Theatervermittlungsprojekt teilgenommen hatten. Entstanden war dieses aus einer Zusammenarbeit zwischen dem Verein Port d’Attache, einer Anlaufstelle für die Unterbringung von Kindern, und dem Foyer de la Servette, einer sonderpädagogischen Institution. Die Aufführung mit dem Titel «Halte» gab vier jungen Frauen, die einen Teil ihres Lebens in einem Heim verbracht haben, eine Stimme. Sie teilten Emotionen und prägende Momente ihres Lebens – aus einer erschütternden Kindheit und einer chaotischen Jugendzeit – mit dem Publikum. Unter der aufmerksamen und wohlwollenden Leitung von Marika Dreistadt, Schauspielerin und Regisseurin, schrieben die vier jungen Frauen – begleitet von einem jungen Mann – eigene Texte über das Heimleben, die Beziehung zu ihren Eltern sowie die Kämpfe und setzten sie auf der Bühne schliesslich theatralisch um. Das Stück war eine Mischung aus ihren Geschichten, Musik- und Tanzeinlagen sowie einer Prise Humor, die der Aufführung etwas von ihrer Schwermut nahm. Eine echte Therapie Celina und Thalya sind sich einig: Diese Aufführung war eine echte Therapie und trotz Publikum ein Moment für sie ganz allein. Sie ermöglichte es ihnen, etwas Abstand vom Erlebten zu gewinnen. «Es hat mich sehr berührt, meine Freunde nach der Aufführung weinen zu sehen. Sie haben mir Emotionen vermittelt, die ich nicht ausdrücken konnte, weil ich zu meinem Schutz so hohe Mauern um mich herum aufgebaut hatte», erzählt Thalya, die diese Erfahrung als beruhigend empfand. Obwohl es schwierig war, von sich zu erzählen: Die Idee einer Aufführung fand bei Celina sofort Anklang. Aufgrund ihrer geschwächten Gesundheit hatte sie jedoch Angst, nicht stark genug zu sein und das Projekt zu gefährden. «Es war viel Arbeit und ein grosses Engagement. Ich bin sehr glücklich, ein Teil davon gewesen zu sein!» Unter der Anleitung von Marika Dreistadt beschlossen die jungen Frauen, eine besondere Episode ihres Lebens zu beleuchten oder einen Einblick in ihre eigenen Fragestellungen zu gewähren. Thalya entschied sich für eine kritische Situation, die sich bei ihr zu Hause ereignet und ihr gezeigt hatte, dass sie absolut keine Schuld trifft am zahlreichen
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