Das Leben selbst bestimmen | Magazin ARTISET 6-2024

ARTISET 06 I 2024 25 Im Fokus Hin und Her zwischen Elternhaus und Heim – im Alter von 11 bis 15 Jahren war sie in rund zehn verschiedenen Institutionen. Zudem thematisierte sie, wie sie mit 17 für zwei Monate abgehauen war, und beendete die Aufführung mit einem Lied über Selbstvertrauen und Resilienz. «So konnte ich eine recht lange Phase meines Lebens abschliessen und Autonomie erlangen», sagt sie. Celina hingegen wollte ausdrücken, wie sie sich zu jener Zeit fühlte, und ihre Zukunftsängste mit dem Publikum teilen. «Aber ich wollte auch zeigen, dass das Leben trotz dieser ungewissen Zukunft, trotz fehlender Unterkunft und Ressourcen schön ist!» Für sie waren die über die ganze Aufführung verteilten humorvollen Einlagen eine Art zu sagen: «Dass wir Heimkinder sind, bedeutet nicht automatisch, dass wir eine schlechte Erziehung haben oder uns nicht benehmen können – im Gegenteil: Wir können leben wie alle anderen, auch wenn wir nicht die gleichen Chancen hatten.» Der Wille, es zu schaffen Celina ist 21 Jahre alt, Thalya wird im September 20. Ihre Wege kreuzten sich um einige Jahre verschoben in den gleichen Heimen. Beide hatten bisher einen ähnlichen Lebensweg, was eine gewisse Verbundenheit weckt, wenn sie von ihrem Erlebten und ähnlichen Situationen erzählen. Ihre Persönlichkeit scheint ganz unterschiedlich zu sein, und dennoch haben sie etwas gemeinsam: die innere Kraft, den Willen, es zu schaffen und zu leben. Hinter ihren Worten versteckt sich eine grosse Klarheit, Aufrichtigkeit und Entschlossenheit. Wenn es um die Vergangenheit geht, kommen auch Emotionen hoch. Mit 17 Jahren kam Celina erst spät ins Heim. Auslöser war der x-te Familienstreit, der heftiger ausgefallen war als sonst. Ein Ereignis, dass sie kaputtgemacht hat, wie sie offenbart: Bruch mit den Eltern, psychologischer Druck, grosse Einsamkeit. Zuerst kam es zu einer Notfallunterbringung, danach zur Platzierung in einem Jugendheim. In den Monaten nach dem besagten Streit rutschte sie in eine Depression und Magersucht. «Ich hätte viel früher platziert werden müssen», findet sie. Denn schnell hatte sie das Alter von 18 Jahren und damit die Volljährigkeit erreicht. Viele Jugendliche freuen sich auf diesen Moment. Für sie bedeutete dies jedoch «tschüss, meine Liebe!», wie sie sagt, und den Beginn der Schwierigkeiten: keine Unterkunft, keine Unterstützung, sich anhäufende Rechnungen und Träume, die sich in Luft auflösten. Als gute Gymnasialschülerin wollte sie Medizin studieren, ihr Gesundheitszustand liess dies jedoch nicht zu. Alarmiert von Celinas Situation, wies der Sozialdienst ihr eine Beiständin zu. Diese unterstützte sie bei der Erledigung ihrer Angelegenheiten und organisierte ein Zimmer in einer Institution, die sich an junge Menschen zwischen 16 und 25 in Ausbildung oder mit einem tiefen Einkommen richtet und den Übergang in die Selbstständigkeit und ins Erwachsenenalter erleichtert. Auch Thalya war mit 18 in diesem Heim. «Ich habe es gehasst!», sagt sie, «zu viele Jugendliche, mangelnde Hygiene, keine Privatsphäre.» Und obwohl auch sie eine gute Schülerin war, brach sie die Schule ab. Der lange Weg in die Selbstständigkeit Es braucht Mut, um wie die beiden jungen Frauen auf der Bühne öffentlich von sich zu erzählen – zumal auch Angehörige im Publikum sitzen können und einen vielleicht nicht verstehen. Genauso viel Mut braucht es, um das eigene Leben in die Hand zu nehmen und selbstständig zu Celina und Thalya im Theater Comédie de Genève: Vor einem Jahr, im Frühling 2023, haben sie hier an einem Theatervermittlungsprojekt teilgenommen. Die beiden jungen Frauen teilten damals prägende Momente ihres Lebens mit dem Publikum. Foto: amn Infos zur Studie «Jugendhilfeverläufe: Aus Erfahrungen lernen» (JAEL) finden Sie hier:

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