Das Leben selbst bestimmen | Magazin ARTISET 6-2024

ARTISET 06 I 2024 3 Editorial «Alle Menschen haben ein Recht darauf, ihr Lebensumfeld selbst zu bestimmen und sich als Individuum frei zu entfalten.» Elisabeth Seifert, Chefredaktorin Liebe Leserin, lieber Leser Sie schätzen es zweifellos sehr, selbst bestimmen zu können, wo und wie Sie leben möchten. Sobald wir das Erwachsenenalter erreicht haben, gehört es zu unseren Rechten, unseren Wohnort und unser Lebensumfeld frei zu wählen. Neben einer sinnstiftenden Tätigkeit ermöglicht das Recht, unser Wohnen selbst bestimmen zu können, unser Ich auszudrücken, uns als selbstwirksam wahrzunehmen – und damit auch unseren Teil zur Gestaltung der Gesellschaft beizutragen. Dies bedeutet, dass all jene Menschen, die ihr Lebensumfeld nicht selbst bestimmen können, in ihrer persönlichen Entwicklung eingeschränkt sind. Solche Einschränkungen sind für viele Menschen mit Behinderungen – noch – eine oft lebenslange Realität. Betroffen sind aber auch betagte Menschen, die aufgrund altersbedingter Beeinträchtigungen ihr Wohnumfeld nicht mehr selbst bestimmen können. Und junge Menschen aus schwierigen familiären Verhältnissen erfahren beim Übergang ins Erwachsenenalter grosse Schwierigkeiten, sich ein selbstbestimmtes Leben samt aller Entwicklungsmöglichkeiten aufzubauen. Im Verlauf der letzten zehn Jahre, seit die Schweiz im Jahr 2014 die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet hat, ist das gesellschaftliche Bewusstsein dafür gewachsen, dass alle Menschen ein Recht darauf haben, ihr Lebensumfeld frei zu bestimmen. Auch wenn einiges in Bewegung gekommen ist, gibt es noch viel zu tun, um die Postulate umzusetzen. Und zwar von allen Teilen der Gesellschaft: Aufseiten der Behörden respektive der Politik geht es darum, auf den verschiedenen Staatsebenen neue Rahmenbedingungen einschliesslich der dafür nötigen Finanzierung zu schaffen (Seite 9). Die Leistungserbringer stehen vor der Herausforderung, eine Vielfalt an Wohn- und Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen (Seiten 12, 15). Viel Mut und Engagement braucht es auch von den begleiteten Menschen, wie unsere Porträts des Ehepaars Donato Lorusso und Natascha Oberholzer aus St. Gallen sowie der beiden Careleaverinnen Celina und Thalya aus Genf zeigen (Seiten 6, 27)). All diese Bemühungen sind aber nur erfolgreich, wenn jeder und jede Einzelne offen dafür ist, das Potenzial von Menschen zu erkennen, die «anders» sind: «Die grosse gesellschaftliche Herausforderung besteht darin, verschiedene Formen der Handlungsfähigkeit zu erkennen und nicht nur jene, die produktivitäts- und leistungsorientiert ist», sagt Jean-Michel Bonvin, Professor für Sozialpolitik an der Uni Genf (Seite 20). In unserem Teil «Aktuell» möchte ich Sie auf unser Gespräch mit Jessica Schnelle, der Leiterin Soziales in der Direktion Gesellschaft & Kultur beim Migros-Genossenschaft-Bund, aufmerksam machen: So gibt es seit diesem März auch Förderbeiträge für die strategische Weiterentwicklung von gemeinnützigen Organisationen (Seite 36). Interessant ist auch zu erfahren, wie Pflegeinstitutionen seit vielen Jahren mittels medizinischer Qualitätsindikatoren die datenbasierte Pflegequalitätsentwicklung vorantreiben (Seite 32). Titelbild: Die Careleaverinnen Celina und Thalya im Theater Comédie de Genève. Im Rahmen eines Theaterprojekts verarbeiteten sie wesentliche Stationen ihres bisherigen Lebens. Foto: amn

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