Das Leben selbst bestimmen | Magazin ARTISET 6-2024

ARTISET 06 I 2024 37 Aktuell selbst leisten, aber gerade bei mittelgrossen bleiben häufig keine Zeit und kein Geld für Konzeptarbeit. Dabei ist es neben der Leidenschaft fürs Machen von Zeit zu Zeit wichtig, zu hinterfragen, ob das Richtige nach wie vor richtig gemacht wird. Wir werden dieses Förderinstrument abgestimmt auf die Bedürfnisse der Förderpartner kontinuierlich weiterentwickeln. Welches sind Projekte, auf die Sie besonders stolz sind? Es erfüllt mich mit Freude, dass wir teilweise besonders früh festgestellt haben, wo es Lücken gab, und dass wir viele Programme partizipativ mit einem Multi-Stakeholder-Ansatz entwickelt und umgesetzt haben. Dies ermöglicht eine solide Basis, sodass die Projekte auch nach unserer Förderung weiterbestehen und entsprechende Angebote zur Verfügung stehen. Ich denke da etwa ans Projekt «Tavolata», das via selbstorganisierte Tischgemeinschaften Menschen durchs gemeinsames Kochen und Essen vernetzt. Ein weiteres erfolgreiches Projekt ist «Vitamin B», die Fachstelle für Vereine, die einzige ihrer Art und seit über 20 Jahren tätig. Auch auf das Netzwerk «Erzählcafé» bin ich stolz, an moderierten Erzählcafés tauschen sich Menschen über ihre Lebensgeschichten und Erfahrungen aus und stärken dadurch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und derzeit stehen die Klima-Seniorinnen ja gerade im Fokus. Sie gingen aus der «Grossmütter Revolution» hervor, die von 2010 bis 2022 ein Projekt des Migros-Kulturprozents war und seither von einem eigenständigen, gemeinnützigen Verein weitergeführt wird. Wo sehen Sie den grössten Bedarf an Förderung im sozialen Bereich? Da unterscheide ich zwischen dem thematischen und dem methodischen Bereich. Thematisch sehe ich eine grosse Herausforderung bei der Chancengleichheit und Teilhabe auf allen Ebenen. Und wahrscheinlich geht die Schere bezüglich der Chancen, dass alle am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, noch weiter auf wegen steigender Lebenshaltungskosten und der zunehmenden Digitalisierung. Der Schlüssel für die Teilhabe ist das Engagement, das die Zwischenräume füllt und so Schmiermittel unserer Gesellschaft ist. Im methodischen Bereich sehe ich Bedarf bei der Co-Kreation, dem Zusammenarbeiten unterschiedlicher Disziplinen für die beste Lösung. Die Anforderungen sind oft so komplex, dass es die Perspektiven vieler braucht, um nachhaltig zu wirken. Das braucht jedoch Zeit, und diese ist knapp in einer Welt, die auf Effizienz getrimmt ist. Was hat sich in Bezug auf die soziale Förderung verändert im Verlauf der letzten Jahre? Eine grosse Veränderung ist sicher die starke Fokussierung auf die Wirkung von Fördermassnahmen. Die Qualität von Aktivitäten wird daran bemessen, wie gross ihr Einfluss darauf ist, Menschen und ihre Verhaltensweisen, also die Gesellschaft, zu verändern. Dabei gilt es meiner Meinung nach ein Gleichgewicht zu finden zwischen «Wir haben den Reflex, zusammenzurücken, aber besser ist es, wenn wir die Vielfalt nutzen können, statt uns bedroht zu fühlen.» Jessica Schnelle Jessica Schnelle: «Das gesellschaftliche Engagement füllt die Zwischenräume und ist so Schmiermittel unserer Gesellschaft.» Foto: Jasmin Frei

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