Das Leben selbst bestimmen | Magazin ARTISET 6-2024

48 ARTISET 06 I 2024 Auch Menschen mit Behinderungen werden älter und sind deshalb zunehmend von Alterserscheinungen wie Demenzen betroffen. Das stellt sie und die betreuenden Personen vor spezielle Herausforderungen. Demenzexpertin Antje Hirt*, die in der Stiftung Balm in Rapperswil-Jona SG als Pflegefach- und Führungsperson arbeitet, erläutert praxiserprobte Strukturen und Massnahmen. Menschen mit Beeinträchtigung und Demenz begleiten Die Lebenserwartung von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung ist erheblich gestiegen. Dadurch steigt gleichzeitig das Risiko von alterstypischen Erkrankungen, zu denen auch Alzheimer und andere Demenzen zählen – und diese treten bedeutend früher auf als bei Menschen ohne Behinderung. Eine für Demenz besonders anfällige Gruppe sind Menschen mit Down Syndrom. Das Alzheimerrisiko bei Trisomie 21 wird auf über 90 Prozent beziffert, 70 Prozent sterben daran. Nicht selten sind erste Anzeichen zudem bereits ab einem Alter von 40 Jahren erkennbar. Im Bereich Wohnen der Stiftung Balm mit Niederlassungen in Rapperswil-Jona und Schmerikon wurde bereits 2017 die Entscheidung getroffen, mit einer Demenzwohngruppe zu starten, um Betroffene gezielter zu unterstützen. Obwohl die benötigten Strukturen geschaffen wurden, zeigte sich, dass ohne entsprechendes Pflege- und Demenzgrundwissen die Arbeitsbelastung stieg und die Personalsituation sich verschärfte. Als ich 2019 als Pflegefach- und Führungsperson in die Stiftung Balm wechselte, um die Demenzwohngruppe zu übernehmen, lautete der Auftrag, mein Wissen zur Demenz einzubringen, das Konzept dazu zu überarbeiten und zur Organisationsentwicklung beizutragen. Krampfanfälle können zu Verunsicherung führen Bei Menschen mit Trisomie 21 sind die zuerst betroffenen Bereiche im Gehirn wesentlich für Impulskontrolle und Handlungsplanung. Im späteren Verlauf treten epileptische Anfälle auf. Sind die Betreuenden auf solche Ereignisse nicht vorbereitet, kann das Erleben eines Krampfanfalls zu Verunsicherung und Angst führen. Nach jedem Anfall ist zudem ein weiterer kognitiver Abbau wahrscheinlich. Klassische Medikamente gegen Epilepsie zeigen bei diesen demenzbedingten Anfällen keine Wirkung. Weitere häufige Veränderungen sind mundmotorische Störungen mit erschwerter Nahrungsaufnahme, wie etwa Kau- und Schluckstörungen durch eine zentrale Koordinationsstörung. Das hat zur Folge, dass Flüssigkeiten schon sehr früh angedickt werden müssen, um ein Verschlucken zu verhindern. Zudem ist die Sprache «verwaschener» mit sichtbar erschwerter Zungenkoordination, was den Einsatz von Unterstützter Kommunikation und die Verwendung von Gebärden erfordert. Auch das Phänomen, mit imaginären Personen zu reden, nimmt zu. Hier ist es sehr schwierig zu unterscheiden, ob demenzbedingte Halluzinationen auftreten oder es sich um eine Angewohnheit aus der Kindheit handelt. Nicht zuletzt ist die Gangunsicherheit und damit die Sturzgefahr erhöht.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTY2MjQyMg==