ARTISET 06 I 2024 49 Aktuell Hier besteht die Herausforderung darin, den Bewohnenden die Nützlichkeit von Hilfsmitteln, wie zum Beispiel einem Rollator, näherzubringen und die Anwendung einzuüben. Bedeutung der Unterstützten Kommunikation Eine wichtige Bereicherung meiner täglichen Arbeit – welcher ich in Pflegeheimen auf Demenzabteilungen nicht begegnete – sind die umfassenden Massnahmen der Unterstützten Kommunikation. Sobald die Sprachfähigkeit eingeschränkt ist, trägt sie zu besserer Verständigung bei. Die Mit- und Selbstbestimmung bleibt dadurch wesentlich länger erhalten. Piktogramme, Gebärden und einfache technische und elektronische Hilfen machen eine Alltagsbewältigung bei einem kognitiven Abbau möglich, auch wenn die Menschen nicht damit aufgewachsen sind. Im leichten bis mittleren Stadium einer Demenz können Betroffene durchaus noch Neues lernen und einüben. Hierzu ein Beispiel, wie wir die Menschen befähigen, sich ohne unsere Hilfe Informationen zu holen: Die Mitglieder unserer Wohngruppe fragen regelmässig, was es zu essen gibt. Da es selbst der empathischsten Begleitperson schwerfällt, auch nach mehreren Wiederholungen freundlich immer dasselbe zu antworten und die Fragenden den Stimmungswechsel sehr feinfühlig bemerken, haben wir einen Big Point angeschafft. Das ist ein Aufnahmegerät in Form eines grossen Druckknopfes. Täglich sprechen wir dort den Wochentag und das Menu auf. Bei der Frage nach dem Essen bitten wir darum, diesen Knopf zu drücken. Unterstützt wird die Information mit einem Bild, welches auf dem Big Point angebracht ist. Unseren Leuten macht es grossen Spass, diesen Knopf zu drücken. Sie haben die Möglichkeit, es mehrmals hintereinander zu tun, und lernen, selbständig zu dieser Information zu kommen. Klienten zu Experten ihrer Wirklichkeit machen Wie bereits erwähnt, ist auch die Arbeit mit einfachen Gebärden nicht mehr wegzudenken. Essen, trinken, duschen oder aufs WC gehen werden im Verlauf einer Demenz durch reine Lautsprache kaum noch verstanden – in Kombination mit einer Gebärde hingegen funktioniert es. An dieser Stelle möchte ich auf die Wichtigkeit von Agogik-Fachstellen und Fachgruppen der Unterstützten Kommunikation hinweisen. Es braucht institutionelle Angebote, bei denen sich die Personen mit Einschränkungen wie auch die Teams Unterstützung holen können. Gemeinsam auf der Suche zu bleiben nach hilfreichen Werkzeugen und Unterstützungstools, die sinnvoll und angemessen sind, ist unerlässlich. Über allen praktischen Tools steht in der Stiftung Balm das Konzept des Lösungsorientierten Ansatzes. Dieser regt dazu an, sich immer wieder selbst zu reflektieren, und ist für mich ein goldener Schlüssel im Umgang mit Betroffenen. Die Klienten zu Experten ihrer Wirklichkeit zu machen, die Haltung des Nichtwissens einzunehmen und sicher zu sein, dass jedes Verhalten einen guten Grund hat, befreit uns im Alltag von dem belastenden Gedanken, immer sofort eine Lösung haben zu müssen. Eine solche Haltung regt dazu an, die kleinen Schritte zu sehen und zu gehen, auf Ausnahmen zu achten und uns auf die Ressourcen und auf das, was gelingt, zu konzentrieren. Kombination agogischen und pflegerischen Wissens Um Menschen mit Demenz alltagspraktisch zu begleiten, sie zu befähigen, dort präsent zu bleiben, wo es möglich ist, gemeinsam mit ihnen immer wieder den passenden Rahmen zu gestalten, brauchen wir sowohl das gesamte agogische wie auch pflegerische Fachwissen. Genauso wie wir Teilhabe gewährleisten und Wechselwirkungen berücksichtigen, müssen palliative Situationen bewältigt und beispielsweise Wunden professionell versorgt werden können. Dieses Wissen ist nicht nur auf den Demenzwohngruppen wichtig, sondern in allen Wohngruppen, in denen ältere Menschen leben. Gemäss meiner Erfahrung kommt es eher selten vor, dass ein Wohngruppenwechsel wegen einer demenziellen Entwicklung zu dem Zeitpunkt stattfinden kann, an dem er notwendig wäre. Daher müssen auch weniger routinierte Begleitpersonen in der Lage sein, Anpassungen im Umfeld, in der Tagesstruktur und in der Kommunikation vorzunehmen. Ich habe die Hoffnung, dass die zukünftige Entwicklung in Richtung Subjektfinanzierung und die Verkleinerung der Wohngruppen eine spezielle Demenzwohngruppe einmal unnötig machen. Ich hoffe, dass die geschaffenen Voraussetzungen es ermöglichen werden, dass – egal wie der Mensch sich verändert – er an seinem langjährigen Wohnplatz bleiben und begleitet werden kann. * Antje Hirt ist diplomierte Pflegefachfrau. Sie hat einen eidgenössischen Abschluss zum Führen von Teams in sozialen sowie sozialmedizinischen Institutionen und ist ausgebildete LOA-Trainerin. In der Stiftung Balm in Jona führt sie eine Wohngruppe und ist Stellvertreterin der Fachstelle Pflege. WEITERBILDUNGEN ■ Am Zentrum für lösungsorientierte Beratung in Winterthur führt Antje Hirt den Tagesworkshop «Gedanken fischen – Menschen mit Demenz lösungsorientiert begleiten» durch. Der Workshop findet am 19. September 2024 in der alten Kaserne in Winterthur statt. Weitere Infos unter zlb-schweiz.ch ■ Artiset Bildung führt nächstes Jahr erneut den zweitägigen Kurs «Demenzkranke Menschen mit einer Beeinträchtigung betreuen» durch. Infos unter agenda.artiset.ch
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