Das Leben selbst bestimmen | Magazin ARTISET 6-2024

ARTISET 06 I 2024 7 Im Fokus Natascha Oberholzer und Donato Lorusso leben seit über zwanzig Jahren selbständig in einer gemeinsamen Wohnung. Sie gehörten zudem zu den ersten Mitarbeitenden des ersten inklusiven Hotels in der Schweiz. Die beiden erzählen von ihren Erfahrungen damals und heute und wie sie ihre Selbständigkeit im Alltag einschätzen. Von Salomé Zimmermann Mitten in der Stadt St. Gallen an zentralster Lage steht das Hotel Dom. Es bietet eine Arbeitsstätte für Menschen mit Beeinträchtigungen – und das seit 26 Jahren. Während das Konzept heutzutage auch andernorts verbreitet ist, war das Hotel Dom in den 90er-Jahren das erste Hotel der Schweiz mit inklusiver Belegschaft. «Es brauchte den Mut der ersten Mitarbeitenden, dieses Experiment zu wagen – ohne zu wissen, ob das Konzept funktioniert», sagt Ruth Kulcsar Meienberger, die das Hotel 1998 gründete und zusammen mit Gaby Heeb während der ersten Jahre leitete. Zwei dieser Mitarbeitenden, Donato Lorusso und Natascha Oberholzer, die zum Ursprungsteam gehörten, erzählen, wie es damals war und wie es ihnen heute geht. Ein Besuch beim Paar zuhause im Quartier Wolfganghof in St. Gallen gibt Aufschluss. Die beiden leben in einer Wohnung zusammen mit ihren beiden Wellensittichen und erzählen gern von ihren Erfahrungen. «Lustig, dass wir uns ausgerechnet heute sehen, am Abend findet nämlich wieder einmal ein Treffen der ehemaligen Mitarbeitenden vom Hotel Dom statt», merkt Natascha Oberholzer an. Sie ist sehr offen und interessiert am Weltgeschehen, denn «bei uns zuhause wurde auch viel diskutiert, mit einem Vater, der Politiker war». Sie hat auch heute noch ein gutes Verhältnis zu ihm und den Geschwistern. «Meine Eltern haben mich immer gut verstanden und mich nicht zurückgebunden», zeigt sie sich dankbar. Prominenz zu Besuch Natascha Oberholzer und Donato Lorusso sind zur Zeit ihrer Tätigkeit im Hotel Dom noch kein Paar, sie wurden beide direkt von Ruth Kulcsar Meienberger und Gaby Heeb angefragt, ob sie Interesse hätten. Ruth Kulcsar Meienberger hatte ein ähnliches Hotelprojekt in Hamburg besucht und war motiviert, das Gleiche in der Schweiz auszuprobieren. «Wir waren etwa dreissig Jahre alt damals», sagt Donato Lorusso, der aus dem Thurgau stammt. «Es war meine erste Stelle im ersten Arbeitsmarkt, vorher habe ich in einer geschützten Werkstatt in der Reinigung und in der Küche gearbeitet», erzählt Natascha Oberholzer, die im Kanton St. Gallen aufwuchs. Im Hotel Dom wirkte sie im Restaurant im Service. Donato Lorusso arbeitete als Portier im Hotel und auch bei der Zimmerreinigung. Vorher sei er bei einer Institution für Hirnverletzte tätig gewesen. «Ich hatte auch mit Prominenz zu tun, die ich bediente», sagt Natascha Oberholzer stolz, «beispielsweise war Paul Rechsteiner, der ehemalige National- und Ständerat, bei uns zu Gast.» Ihr gefiel die Vielseitigkeit der Arbeit, die Bestellungen für Kaffee und Tee etwa liefen auch über sie. Als besonders anspruchsvoll hat sie in Erinnerung, dass man im Kontakt mit den Gästen gut drauf sein musste, auch wenn es einem grad nicht so gut ging. «Es war eine riesige Chance, diese Arbeit, wir leisteten Pionierarbeit und kamen deswegen sogar im Fernsehen», so Natascha Oberholzer. «Mit der Zeit und zunehmendem Erfolg wurde die Arbeit immer strenger», «Es war eine riesige Chance, wir leisteten Pionierarbeit im Hotel Dom und kamen deswegen sogar im Fernsehen.» Natascha Oberholzer WOHNEN IM WANDEL Der Branchenverband Insos organisiert zum zweiten Mal eine Fachtagung zum Thema «Wohnen im Wandel. Mitgestalten eines lebendigen und diversen Sozialraums» in Bern. Die Tagung ist interaktiv und findet mit Simultanübersetzung Deutsch und Französisch statt.

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