ARTISET 06 I 2024 9 Im Fokus Vor gut drei Jahren hat der Vorstand der Sozialdirektorenkonferenz (SODK) eine Vision für das selbstbestimmte Wohnen von betagten Menschen und Menschen mit Behinderung formuliert. Wo steht die Politik heute? Es sei eine grosse Dynamik auf allen Staatsebenen zu beobachten, betonen zwei Vertreter des SODK-Generalsekretariats. Zwingend nötig sei jetzt eine Klärung auf Bundesebene. Von Elisabeth Seifert Der Bund ist ein wichtiger Taktgeber «Betagte Menschen und Menschen mit Behinderungen wählen bis im Jahr 2030 ihren Wohnort in der Schweiz und ihre Wohnform so selbstbestimmt und frei wie Menschen ohne Behinderung. Sie sollen dieselben Wahlmöglichkeiten wie Menschen ohne Betreuungsbedarf haben. Sie wählen die Wohnform selbst und definieren gemeinsam mit der zuständigen Stelle, welche Leistungen sie benötigen. Das Unterstützungsangebot ist bedarfsgerecht und fördert ein selbstbestimmtes Leben. (…) Mit bedarfsgerechter und angemessener Unterstützung können Personen privat zu Hause wohnen, wenn sie dies wünschen.» So lauten auszugsweise die Postulate der «Vision» für das «selbstbestimmte Wohnen von betagten Menschen und Menschen mit Behinderungen», die der Vorstand der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) vor gut drei Jahren, Ende Januar 2021, beschlossen hat. Indem die Vision explizit beide Gruppen einbezieht, folgt sie der UN-Behindertenrechtskonvention, die ebenfalls keinen Unterschied macht, ob jemand in jüngeren Jahren Hilfe benötigt oder erst aufgrund des hohen Alters gleichsam «neu behindert» wird. Aufbrechen alter Strukturen Mit seiner Vision bekennt sich der SODK-Vorstand zu einem eigentlichen Paradigmenwechsel in der Begleitung von Menschen mit Unterstützungsbedarf, der alles andere als leicht und schnell zu bewerkstelligen ist. «Es braucht viel, um die alten Strukturen aufzubrechen», beobachtet Remo Dörig, stellvertretender Generalsekretär der SODK. Gemäss den seit vielen Jahren geltenden Strukturen und Finanzierungsmechanismen haben viele Menschen mit Behinderung vor allem innerhalb von Institutionen Zugang zu Betreuungsangeboten – und nicht in einer selbst gemieteten Wohnung. Damit aber ist es für sie kaum möglich, die Wohnform und den Wohnort selbstbestimmt zu wählen. Eine ähnliche Problemstellung besteht auch bei Menschen im hohen Alter: Aufgrund fehlender oder für sie nicht bezahlbarer Betreuungsleistungen können sie nicht in ihrem vertrauten Wohnumfeld bleiben und müssen dann möglicherweise gegen ihren Wunsch früher als nötig in eine Institution eintreten. Und dennoch: In den letzten Jahren sei auf allen Ebenen des föderalen Systems, der Ebene des Bundes, der Kantone und der Gemeinden, eine grosse Dynamik feststellbar. Dies unterstreichen Remo Dörig und Thomas Schuler, der Fachbereichsleiter Behindertenpolitik im SODK-Generalsekretariat. Die neue Dynamik erkläre sich etwa damit, dass die Forderungen der UNBRK immer stärker im Bewusstsein der Behörden verankert seien. Zudem zwinge der demografische Wandel dazu, namentlich für betagte Menschen neue, den Bedürfnissen angepasste und für alle Beteiligten finanzierbare Lösungen zu finden. Und ganz generell erfordere der finanzielle Druck, so Schuler und Dörig, das bestehende Unterstützungssystem zu überprüfen. Verflechtungen zwischen den Staatsebenen Eine grosse Herausforderung, um die Angebotslandschaft neu zu strukturieren, sind die Verflechtungen zwischen den Staatsebenen bei der Bereitstellung und der Finanzierung entsprechender
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