Die psychische Gesundheit pflegen | Magazin ARTISET | 7-8 2022
42 ARTISET 07/08 I 2022 Was die Mitarbeitenden betrifft: Sind es nicht vor allem Mitarbeiten- de in privilegierten und für sie sinn- stiftenden Berufen, die über das Pensionsalter hinaus arbeiten wol- len? Es gibt sicher Berufe, bei denen es attrak- tiver ist, länger zu arbeiten; und es gibt Berufe, wo das weniger der Fall ist. Und ja: Wenn man die Leute fragt, ob sie bis 66, 67 oder noch länger arbeiten wollen, werden das sehr viele verneinen. Wenn man ihnen aber aufzeigen kann, dass sie eine höhere Rente erzielen können und weniger Steuern zahlen müssen, wenn sie etwas länger arbeiten, schaut es anders aus. Die Lebenserwartung ist im Verlauf der letzten 60 Jahre um zehn Jahre ge- stiegen, und jedes dieser zusätzlichen Jahre ist in die Freizeit gegangen. Das wird man nicht mehr finanzieren kön- nen, es sei denn, man bürdet die Finan- zierung der Renten anderen auf. Dennoch: Viele ältere Mitarbeitende sind schon vor Erreichen des heu- tigen Rentenalters erschöpft und warten nur auf den Tag der Pensio- nierung – oder sehen Sie das an- ders? Es ist sicher nicht für alle gleich einfach, nach 65 weiterzuarbeiten. Und wir plä- dieren auch dafür, dass Mitarbeitende in Berufen, wo man körperlich besonders gefordert ist, früher in Rente gehen können. Wir müssen aber von der Idee wegkommen, dass mit 65 die Zeit der Erwerbsarbeit endet. Wir leben ja nicht nur länger, sondern bleiben im Durch- schnitt auch immer länger gesund. Eine Entlastung wäre sicher, wenn man zum Beispiel mit 60 Jahren sein Arbeitspens- um reduziert, aber dafür dann zum Bei- spiel bis 70 Jahre arbeitet. Das scheint mir auch viel natürlicher, als von heute auf morgen mit der Erwerbsarbeit auf- zuhören. Sie plädieren für flexible Arbeitszeit- modelle? Neben der zwingenden Erhöhung des Rentenalters braucht es auch eine noch deutlichere Flexibilisierung der Arbeits- zeit. Und zwar nicht erst in den späteren Lebensjahren. In jüngeren Jahren redu- ziert jemand vielleicht seine Arbeit, um eine Weiterbildung oder eine Auszeit zu machen oder im Rahmen einer Elternzeit. Dafür arbeitet er oder sie dann länger. Solche Teilzeitarbeitsmodelle haben sich aber noch nicht allgemein eta- bliert? Schon heute ermöglichen immer mehr Arbeitgebende Teilzeitarbeit, weil sie nur so an die gut qualifizierten Mitarbeiten- den herankommen. Aufgrund der Ver- knappung der Arbeitskräfte werden im- mer mehr Arbeitgebende solche Angebote machen. Im Bereich der Sozialversiche- rung müssen wir zudem alle Hürden abbauen, die flexible Arbeitszeitmodelle verhindern. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt muss in Richtung einer Le- bensarbeitszeit gehen. «Es braucht eine noch deutlichere Flexibili sierung der Arbeitszeit – und zwar nicht erst in den späteren Lebens- jahren.» Aymo Brunetti, Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Bern Aymo Brunetti: «Die Potenziale der Mitarbeitenden über 65 werden noch nicht ausgeschöpft.» Foto: Privat Aktuell
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