Die psychische Gesundheit pflegen | Magazin ARTISET | 7-8 2022

ARTISET 07/08 I 2022  7 Das grossformatige Bild im Büro von Marcel Lanz hat eine 84-jährige Frau gemalt, die psychisch erkrankt ist. Vor dem Hintergrund der belastenden Krankheit erstaunen die Leich- tigkeit und die Ruhe, die das Bild ausstrahlt, die vielen hel- len Blautöne und die sanfte, harmonische Pinselführung. Sie hat das Bild extra für ihn gemalt. Dies deutet auf Bezie- hung hin, auf Verständnis für ihre Befindlichkeit. Im Ge- spräch, das wir am Tisch vor diesem Bild führen, wird schnell deutlich: Für Geschäftsleiter Marcel Lanz spielen Beziehungen zu den Menschen innerhalb des Bifang Wohn- und Pflegezentrums Wohlen sowie in dessen Umfeld eine ganz zentrale Rolle. «Jeder Mensch hat das Bedürfnis, gesehen, gehört und verstanden zu werden», zitiert Lanz die amerikanische Psy- chotherapeutin und Schriftstellerin Virginia Satir. Eine Ein- sicht, die zu einem Leitmotto seiner Arbeit und seines Le- bens geworden ist. «In den letzten Jahren ist mir immer stärker bewusst geworden, wie wichtig es ist, auf die Anlie- gen der Menschen einzugehen und sich Zeit zu nehmen für den persönlichen Kontakt», sagt er. Mit den Mitarbeitenden, den Bewohnenden, auch den Angehörigen. Dazu gehört etwa, dass er, wenn immer möglich jeden Tag, eine Runde durchs Haus respektive die beiden Häuser dreht, das Wohn- zentrum mit gegen 80 Bewohnerinnen und Bewohnern sowie das Pflegezentrum mit knapp 40 Bewohnenden. Zur Begrüssung der Mitarbeitenden und der Bewohnenden ge- hört jeweils die – ernstgemeinte – Frage: «Wie geht es Dir respektive Ihnen?» Und, ganz besonders an die Mitarbeiten- den gerichtet: «Wie erlebst Du die Belastungen derzeit?» Ebenfalls täglich, immer morgens um 8.45 Uhr für eine kurze aber umso wichtigere Viertelstunde, trifft sich Marcel Lanz in seinem Büro mit Pflegedienstleiterin Karin Hitz, um sich mit ihr über das Befinden der Bewohnenden und Mit- arbeitenden auszutauschen. «Auch ich selbst werde dabei jeweils gefragt, wie es mir geht», sagt Karin Hitz. Sie, selbst Vorgesetzte, weiss um die Bedeutung der Vorbildfunktion. Was der Chef oder die Chefin vorlebt, das werden die Mit- arbeitenden weitertragen. Auch private Sorgen machen zu schaffen Das besondere Augenmerk von Marcel Lanz, Karin Hitz und allen übrigen Bereichsleitungen gilt der Zufriedenheit der Mitarbeitenden. «Nur wenn es den Mitarbeitenden gut geht, können sie gute Leistungen für die Bewohnerinnen und Bewohner erbringen», weiss der Geschäftsleiter. Zufrie- dene, psychisch gesunde Mitarbeitende sind indes keine Selbstverständlichkeit. Der Geschäftsleiter und die Pflege- dienstleiterin sprechen die vielfältigen Belastungen an, die Mitarbeitenden zu schaffen machen. Diese betreffen manch- mal die Situation am Arbeitsplatz. Oft beschäftigen die Mitarbeitenden aber private Sorgen, familiäre oder gesund- heitliche Probleme. Hinzu komme, wie beide betonen, dass gerade Mitarbeitende in den Pflege- und Sozialberufen auf- grund ihrer hohen Motivation, anderen helfen zu wollen, Gefahr laufen, ihre eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen. Die Führung eines Betriebs schliesse immer mehr auch die psychosoziale Beratung der Mitarbeitenden ein, betont Marcel Lanz, der neben seiner Tätigkeit als Geschäftsleiter des «Bifang» Organisationen unterschiedlicher Art berät. Die Bürotüren des Geschäftsleiters und der sechs Bereichs- leitungen stehen (fast) immer offen. Sie signalisieren damit, dass die Mitarbeitenden jederzeit bei ihnen vorbeikommen können. Darüber hinaus sei es aber auch wichtig, wie Hitz unterstreicht, aktiv auf Mitarbeitende zuzugehen, bei denen man spürt, dass sie etwas belastet. Manchmal genüge es einfach, zuzuhören oder Adressen von Beratungsstellen wei- terzugeben. «Wenn jemand aber in einer schwierigen Situ- ation steckt, suchen wir gemeinsam nach Lösungen.» Bei der Wertschätzung der Mitarbeitenden sieht Marcel Lanz neben der operativen Leitung auch die strategische Führung in der Pflicht, im «Bifang» ist dies der Vereinsvor- stand. Während der Coronapandemie zum Beispiel hätten es die Mitarbeitenden sehr geschätzt, dass sie mehrmals einen Bonus ausgezahlt bekommen haben und ihnen zu Ostern von den Vorstandsmitgliedern persönlich ein Ge- schenk überreicht worden ist. «Das investierte Geld kommt mehrfach in Form eines grossen Engagements zurück», be- obachtet Lanz. Eine Umfrage legt die Bedürfnisse offen Echte Wertschätzung zeige sich immer in Taten, nicht nur in Worten, unterstreicht der Geschäftsleiter. Um die Anlie- gen der Mitarbeitenden noch besser in Erfahrung zu bringen, hat sich die «Bifang»-Leitung im Jahr 2018 dazu entschlos- sen, als einer von neun Pilotbetrieben der stationären und ambulanten Langzeitpflege an einer spezialisierten Mitar- beitenden-Befragung teilzunehmen: Die Stiftung Gesund- heitsförderung Schweiz hat ihr bestehendes Befragungsins- trument Friendly Work Space (FWS) Job-Stress-Analysis um ein Spezialmodul Langzeitpflege ergänzt – und dieses erweiterte Tool von 2018 bis 2020 in einem Pilotprojekt getestet. Mit dem Instrument können Unternehmen das stressbezogene Empfinden ihrer Mitarbeitenden erheben und eine Standortbestimmung bezüglich der Arbeitsbedin- gungen erstellen (siehe dazu auch Seite 9). «Ich nahm damals wahr, dass die Bedürfnisse meiner Mit- arbeitenden nicht so abgedeckt werden konnten, wie Sie stehen in einem regelmässigen Austausch über das Befinden der Mitarbeitenden und der Bewohnenden: Marcel Lanz, Geschäftsleiter des Bifang Wohn- und Pflegezentrums im aargauischen Wohlen, und Pflegedienstleiterin Karin Hitz.  Foto: Marco Zanoni

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