ARTISET 07/08 I 2024 15 Im Fokus In einer inklusiven Wohngemeinschaft in Fribourg kümmern sich neben Profis auch Freiwillige – häufig Studierende – um ihre Mitbewohnenden mit kognitiven Einschränkungen. Sie profitieren dafür von reduzierter Miete und gemachter Wäsche und bezeichnen als grösste Herausforderung das richtige Mass von Ansprechbarkeit und Abgrenzung. Die WG-Bewohnenden geniessen insbesondere das Lernen voneinander. Von Salomé Zimmermann Eine schöne alte Villa mit Garten, mitten in Fribourg, in der Nähe vom Bahnhof und von der Universität. Hier leben Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Die Personen mit kognitiven Einschränkungen erfahren ausser von Fachpersonen Unterstützung von Freiwilligen, hauptsächlich Studierenden, diese wiederum erhalten vergünstigte Mietkonditionen. Möglich macht dies der christlich geprägte, weltweit tätige Verein Arche, gegründet von einem kanadischen Theologen. In Fribourg gibt es drei solcher Arche-Wohngemeinschaften in drei Häusern. Das inklusive Zusammenwohnen ist in der Schweiz immer noch eher aussergewöhnlich. Eine zweite Familie Wie das alltägliche Zusammenleben funktioniert, zeigt ein Augenschein vor Ort zum Zeitpunkt, der alle versammelt, nämlich beim Abendessen. Wir befinden uns in der kleinsten und jüngsten Fribourger Wohngemeinschaft «Grain de Sel», wo insgesamt sechs Personen zusammenleben, drei davon mit Behinderung. Gekocht haben der von Verein Arche angestellte Hausverantwortliche und Sonderpädagoge Andreas Uhlig und der langjährige Bewohner Olivier Ducrest. Es gibt Reis mit Rucola, Käse, Erdbeeren und Salat. Versammelt sind am Tisch die gesamte Wohngemeinschaft und Gaëlle, die Freundin von Mitbewohner Nayden Frossard. Am Tisch geht es zu und her wie überall, es wird gelacht und gescherzt und der Tag kommentiert – auf Französisch. Valerie Kaufmann, die 21-jährige, freiwillig tätige Studentin, bringt Olivier nach dem Essen seine Medikamente. Sie studiert Heilpädagogik und hat nun zwei Jahre in der WG verbracht, bald zieht sie nach Bern, um dort ihre Studien fortzusetzen. Nach dem Essen stossen auch zwei Freiwillige aus den beiden anderen Häusern in unmittelbarer Nachbarschaft dazu, um von ihren Erfahrungen zu erzählen. Da ist einerseits die 22-jährige Zoë Koch, die in der ältesten und mit ungefähr zehn Personen grössten Wohngemeinschaft «La Grotte» lebt. Sie studiert Jus und möchte ihren Master bilingue abschliessen. Deshalb hat sie sich entschieden, in die französischsprachige Wohngemeinschaft einzuziehen und folgt dabei auch dem Beispiel ihrer Mutter, die vor 25 Jahren als Studentin auch in einem der drei Arche-Häuser in Fribourg lebte. «Mir gefällt es sehr, hier eine zweite Familie zu haben», so Zoë. Die dritte Freiwillige ist Krista Haeni aus der Wohngemeinschaft «Béthanie». Die Mittvierzigerin arbeitet als Heilpädagogin auswärts. Ist es ihr nicht zu viel, sowohl bei der Arbeit wie auch zuhause mit Menschen mit Behinderungen konfrontiert zu sein? «Ich schätze die Gemeinschaft hier sehr, das Zusammengehörigkeitsgefühl – und Arbeit ist Arbeit, das ist etwas ganz anderes», sagt Krista. Sie habe als Lehrerseminaristin damals eine Arbeit über die Arche verfasst und sei so dazugestossen. «Bei der Arbeit gibt es Ansprüche und den Druck, die Arbeit möglichst gut zu machen. Dies fällt in der Arche-WG weg, hier bin ich zuhause», so Krista. Valerie, die zukünftige Heilpädagogin, lernt im Zusammenwohnen viel für ihre Arbeit – die Praxis sieht sie als ideale Ergänzung zur Theorie in der Ausbildung. Die Ehrenamtlichen geniessen gewisse Annehmlichkeiten wie die Erledigung der Wäsche oder die Tatsache, dass sie im Turnus nur einmal pro Woche für alle kochen müssen – die günstige Miete ist natürlich auch ein wichtiger Faktor. Als Freiwilliger gestartet Andreas lebte damals als Student ein Jahr als Freiwilliger in der Arche-WG, daraus sind nun über zwanzig Jahre geworden. Er studierte seinerzeit in Erfurt und wollte Französisch lernen und Erfahrungen mit Menschen mit kognitiven Einschränkungen machen. Da kam ihm der Anschlag am Schwarzen Brett an der Uni gerade recht, und er zog in die Schweiz um. Seit Langem wohnt auch seine Frau Anne Uhlig – als Freiwillige – in der Wohngemeinschaft. «Mir entspricht diese gemeinsame Lebensform sehr, ich treffe Menschen, mit denen ich sonst nichts zu tun hätte», sagt Andreas. Er erinnert sich, wie erstaunt er in den Anfängen war, dass es so «normal» zu und her ging, dass Menschen eben einfach Menschen sind, egal ob mit oder ohne Behinderung. Das Paar sorgt für Konstanz, während die jungen Freiwilligen zirka alle zwei bis drei Jahre wechseln. Ihm passe dieser Rhythmus gut, meint Andreas. Krista hingegen hat manchmal Mühe mit den Wechseln, weil sie auch
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