Was Freiwillige leisten und erleben | Magazin ARTISET | 7-8 2024

ARTISET 07/08 I 2024 35 Aktuell dass die Kleinklassen bis 2005 angestiegen sind und dann rückläufig waren. Seit wenigen Jahren steigen sie wieder etwas an, was wahrscheinlich auf die aktuellen Krisen und die gesellschaftlichen Veränderungen zurückzuführen ist. Bei den Sonderschulen hingegen verzeichnen wir über die letzten 40 Jahre hinweg einen Anstieg um 30 Prozent: 1980 waren 1,4 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in einer Sonderschule, derzeit sind es 1,9 Prozent. Lässt sich der Anstieg der Sonderschulplätze, zumindest auch, mit abnehmenden Sonderklassen erklären? Diese Befürchtung besteht, wird aber durch die Statistik nicht bestätigt. Während der Zeit, wo es viele Sonderklassen gab, ist auch die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den Sonderschulen gestiegen. Und das Beispiel Obwalden zeigt: Vor gut zehn Jahren hat man dort alle Sonderklassen aufgehoben und befürchtete daraufhin einen Anstieg der Sonderschulplätze. Es gab einen kleinen Anstieg zu Beginn, dieser ist aber schnell wieder verschwunden. Man schaffte es also, die freiwerdenden Ressourcen den Regelklassen zur Verfügung zu stellen. Wie erklärt sich dann der kontinuierliche Ausbau der Sonderschulplätze? Die Regelschulen nützen das Angebot der Sonderschulen, um Probleme auszulagern. Das Angebot ist da, die Ressourcen sind da, aber eben ausserhalb der Regelschule. Indem es zu einer solchen Auslagerung kommt, kann sich die Regelschule nicht verändern, weil die nötigen Ressourcen in der Sonderschule sind. Unsere Herausforderung ist, die Zusammenarbeit zwischen Regel- und Sonderschulen zu stärken. Der Ressourcentransfer muss sich verbessern. Was heisst die gestiegene Sonderschulquote für die Kinder und Jugendlichen mit klassischen Beeinträchtigungen? Wir haben keine Statistik dazu, stellen aber fest, dass heute mehr Kinder und Jugendliche mit Sinnesbeeinträchtigungen und mit körperlichen Beeinträchtigungen integriert werden. Bei kognitiven Beeinträchtigungen wird es schwieriger. Viele Kinder mit Downsyndrom sind in vielen Kantonen in der Primarschule integriert, das ist ein guter Anfang. Es gibt klar eine Verbesserung im Vergleich zu früher, auch wenn viele betroffene Eltern mit der Situation nicht zufrieden sind. Bedenklich ist aber vor allem der generelle Anstieg der Sonderschulplätze. Bemerkenswert ist dies gerade auch vor dem Hintergrund, dass wir seit Jahren von der integrativen Schule reden. Die Entwicklung ist, wie gesagt, durch die zwei Silos, die Regel- und die Sonderschulen, bedingt, die es zu wenig schaffen, miteinander zu kommunizieren. Und: Wenn ein Angebot da ist, besteht in der Regel auch die Nachfrage danach. Wir haben in vielen Kantonen eine Kultur der Separation, die wir seit Jahrzehnten leben. Dass es auch anders geht, zeigen jene Kantone, die nur über ein kleines Sonderschulangebot verfügen. Dazu gehören vor allen die Bergkantone, etwa Obwalden, Nidwalden, Uri, Graubünden, Wallis und das Tessin. Diese Kantone sind sehr integrativ unterwegs. Aufgrund der Geografie war man gezwungen, integrativ zu arbeiten, und es funktioniert. Wie schaffen solche Kantone die Integration? Ein grosser Teil der Schülerinnen und Schüler sind hier in die Regelklasse integriert. Kinder mit kognitiven Einschränkungen haben andere Lernziele oder arbeiten in gewissen Fächern mit jüngeren Kindern oder Jugendlichen zusammen. Es bewähren sich auch altersdurchmischte Klassen, in denen zum Beispiel drei Lehrpersonen drei Jahrgänge gemeinsam unterrichten. In einem solchen Setting ist es sehr gut möglich, Schülerinnen und Schüler gemäss ihren Bedürfnissen gezielt zu fördern, obwohl sie alle zum gleichen Klassenverbund gehören. Wichtig sind auch die Beratung und die Unterstützung der Lehrpersonen, zum Beispiel im Umgang mit verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern. Die Regelschullehrpersonen «Wir haben in der Schweiz immer noch zwei Parallelsysteme: zwei Säulen oder zwei Silos, die Regelschule und die Sonderschule. Jedes System für sich funktioniert gut. Was aber nicht funktioniert, ist die Zusammenarbeit.» Romain Lanners

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