Was Freiwillige leisten und erleben | Magazin ARTISET | 7-8 2024

ARTISET 07/08 I 2024 43 MemoryBox oder der Kinderrechtenavigator. Ebenso auf Interesse stossen die Erhebungen der letzten Jahre zu den diversen Finanzierungssystemen in der Schweiz. Die Erkenntnisse daraus konnten nun zum ersten Mal genutzt werden für politische Forderungen mit Bezug auf die Chancengleichheit für Kinder mit Unterstützungsbedarf. Wo sehen Sie die zentralen politischen Herausforderungen für die Branche? Marianne Streiff: Der Kostendruck im Sozial- und Gesundheitsbereich steigt konstant. Unsere Mitglieder sind stark davon betroffen – ihre Leistungen können häufig nicht mehr kostendeckend abgedeckt werden. Die Leidtragenden sind die Menschen mit Unterstützungsbedarf. Gegenüber dieser Entwicklung wollen wir klar Gegensteuer geben. Laurent Wehrli: Es droht zudem ein Spagat: Die Qualitätsansprüche an unsere Mitglieder sind hoch, mit zu wenig Personal können sie diese jedoch nicht mehr erfüllt erfüllen. Die politischen Behörden – insbesondere der Kantone und Gemeinden – müssen verstehen, dass sie in der Pflicht stehen für die Schliessung von Angebotslücken, nicht unsere Mitglieder. Darauf arbeiten wir hin. Marco Borsotti: Der Fachkräftemangel und die Finanzierung der Leistungen dürften uns noch längere Zeit beschäftigen. Es geht nun darum, die integrierte Versorgung umzusetzen. Das neue Instrument dazu ist von der Praxis für die Praxis erarbeitet worden und liegt nun vor. Aufwendige Verhandlungen fanden statt in Sachen Administrativverträge. Weiterhin wird sehr intensive und klare Interessensvertretung und Öffentlichkeitsarbeit notwendig sein. Dagmar Domenig: Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention fordert die Dienstleistenden weiterhin heraus und zwingt auch alle anderen Stakeholder, sich zu bewegen. Neue Finanzierungssysteme sind in einzelnen Kantonen bereits aufgegleist, die grosse Umwälzungen nach sich ziehen werden. Als Branchenverband sind wir gefordert, unseren Einfluss auf der politischen Bühne noch stärker geltend zu machen. Besonders zentral ist es aus unserer Sicht, dass Anpassungen in den Angeboten nicht zu einem Leistungsabbau und Qualitätsverlust führen. Marco Camus: Die grossen kantonalen Unterschiede in der Ausgestaltung der Dienstleistungen zu Gunsten der Kinder und Jugendlichen sowie deren Finanzierung behindern eine Bündelung der Kräfte im Vorantreiben der qualitativen Entwicklung der Branche. Wir sind hoffnungsvoll, dass mit der Evaluation der Pflegekinderverordnung und der daraus folgenden Revision die Chance auf das Einschlagen wichtiger zukunftsgerichteten Pflöcke in Bezug auf die professionelle Begleitung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gepackt wird. Wo sehen Sie die Herausforderungen im Bereich der Branchenentwicklung? Marianne Streiff: Unsere Branchen müssen sich gesellschaftlichen Erwartungen stellen, wie sie zum Beispiel die UN-Behindertenrechtskonvention enthält. Erwartet werden flexiblere, personenzentrierte und nachfrageorientierte Angebote von hoher Qualität. Es freut mich, dass die Mitglieder aller drei Branchenverbände auf dem Weg dazu sind. Laurent Wehrli: Der rasche technologische Wandel führt zu neuen Erwartungen, aber auch zu Unsicherheiten. Unsere Mitglieder sind gefordert, den technologischen Fortschritt selbst sinnvoll nutzen und den von ihnen betreuten Menschen Sicherheit zu geben im Umgang mit neuen Anwendungen. Darin wollen wir sie unterstützen. Marco Borsotti: Curaviva widmet sich aktuell der Erarbeitung der Strategie für die Zukunft. Digitalisierung und künstliche Intelligenz werden als neue Elemente einfliessen und sind entsprechend den Bedürfnissen der Branche zu definieren. Die Zusammenarbeit mit relevanten Partnern wird zur Regel werden, womit sich eine völlig neue Kultur entwickeln dürfte. Für mich persönlich ist ganz wichtig, dass dabei schlussendlich der Mehrwert für die Bewohnerinnen und Bewohner nicht in Vergessenheit gerät. Dagmar Domenig: Unsere Dienstleister setzen bereits vieles im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention um, nur sind diese Veränderungsprozesse noch wenig bekannt. Es geht also nicht darum, einfache Lösungen zu verkaufen, sondern den bereits in Gang gesetzten Prozessen noch mehr Wirkung zu verleihen. Die Branche kann sich auch nicht alleine weiterentwickeln, sondern die angestossenen Prozesse müssen durch die Politik, die Gesetzgebung und die öffentliche Hand als mehrheitliche Finanziererin unterstützt und gefördert werden Marco Camus: Sowohl die Komplexität der Aufgaben mit den Kindern, Jugendlichen und ihren Familien als auch die knapper werdenden Ressourcen, die zur Verfügung stehen, zwingen die Dienstleistenden, innovativ zu sein und insbesondere über das eigene System hinweg Kooperationen einzugehen und Lösungen zu suchen, um für die Kinder und Familien die zukunftsträchtigen Angebote zur Verfügung zu stehen. Als Verband werden wir gerne Möglichkeiten aufzeigen, wie solche Veränderungen angestrebt werden können. Aktuell «Unsere Branchen müssen sich gesellschaftlichen Erwartungen stellen, wie sie zum Beispiel die UN Behindertenrechtskonvention enthält.» Marianne Streiff, Co Präsidentin Artiset

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