Magazin ARTISET_9-2022_Politische Partizipation

ARTISET 09 I 2022 13 respektive bilden wollen. Die fehlende Unterstützung sei zuweilen auch auf Vorurteile zurückzuführen, stellt Jan Habegger fest. So entscheide das Umfeld oft vorschnell, dass doch kein politisches Interesse vorhanden sei, weil die Themen von der Lebenswelt der Menschen mit Behinderung viel zu weit weg seien. Solche Vorurteile seien auch im Vorfeld der Volksabstimmung in Genf ein Thema gewesen, erinnert sich Marina Vaucher, Verbandsverantwortliche von Insos Genf. Selbst einige Fachpersonen hätten sich kritisch zur Vorlage geäussert, weil die Teilnahme von Menschen gerade mit stärkeren kognitiven Behinderungen doch wenig Sinn mache und zu kompliziert sei. Eine Sichtweise, die Marina Vaucher und Jérôme Laederach explizit nicht teilen. Abstimmungscafé als Orientierungshilfe Damit Menschen mit Behinderung sich gemäss der Forderung der UNBRK «gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend» am politischen Prozess beteiligen können, benötigen sie Unterstützung. Die mittlerweile in etlichen Kantonen und auf Bundesebene laufenden Bemühungen, allen Personen mit Behinderung die politischen Rechte zu gewähren, dürften hier zu vermehrten Anstrengungen führen. Das zeigt das Beispiel Genf: Die Staatskanzlei hat eine Broschüre in Leichter Sprache erarbeitet, die Interessierten erklärt, wie sie wählen können. Ergänzend zur Broschüre gibt es auch ein Erklärvideo. Nicht als ihre Aufgabe erachtet die Genfer Staatskanzlei indes die einfache Aufbereitung des Abstimmungsmaterials. Der Grund: Nicht ganz korrekte Informationen im offiziellen Abstimmungsbüchlein können dazu führen, dass eine Abstimmung für ungültig erklärt wird. In die Bresche springen Institutionen für Menschen mit Behinderung. Jérôme Laederach: «Es gibt interinstitutionelle Gruppen, die das Abstimmungsmaterial in eine leicht lesbare und verständliche Sprache übersetzen.» Darüber hinaus gebe es, ergänzt Marina Vaucher, Bemühungen, Abstimmungscafés zu organisieren, um eine Diskussion über die Inhalte zu ermöglichen. Vorbild der Genfer ist das «Bla-Bla-Vote» der Stiftung Eben- Hézer in Lausanne (siehe Seite 14). Solche Diskussions- und Austauschgruppen hält Jan Habegger von Insieme Schweiz für zentral: «Auf diese Weise werden die Interessierten befähigt, sich einen Überblick zu verschaffen.» Auch in der Deutschschweiz gebe es einige Institutionen für Menschen mit Behinderung, welche die politische Bildung ihrer Mitarbeitenden oder Bewohnenden fördern. Dabei handelt es sich vor allem um Institutionen, in denen die Mitsprache, etwa imRahmen von Selbstvertretungsgruppen, generell praktiziert wird. Noch kaum einThema sei die politische Bildung, so Habegger, in den Sonderschulen und der beruflichen Grundbildung für Menschen mit Behinderung. Bund und Kantone stehen – noch – am Anfang Die Behörden auf der Ebene der Kantone und des Bundes machen generell noch zu wenig, so Habegger. Ähnlich wie der Kanton Genf haben die Kantone Aargau und Graubünden Wahlanleitungen erarbeitet. Gleiches gilt für einzelne Städte, so etwa Uster und Wallisellen im Kanton Zürich. Auf Bundesebene hat Insieme gemeinsam mit der Organisation Easy Vote, welche die politische Beteiligung von jungen Erwachsenen fördert, im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen von 2019 eine Wahlhilfe in Leichter Sprache erarbeitet. Diese wurde zur Hälfte vom Bund mitfinanziert. Auf Bundesebene entwickelt derzeit die Bundeskanzlei in Zusammenarbeit mit den Sehbehinderten- und Blindenorganisationen Abstimmungsschablonen. Ein Pilotversuch mit Abstimmungserläuterungen in Leichter Sprache hingegen ist vor zwei Jahren abgelehnt worden. Die Argumentation ist ähnlich wie jene der Genfer Staatskanzlei: Eine exakte Übersetzung würde zu einem viel zu langen Text führen. Und mit einer Reduktion der Information laufe man Gefahr, eine Wertung vorzunehmen. Eine Argumentation, die Jan Habegger und Cyril Mizrahi im Grundsatz nachvollziehen können. Beide sehen indes eine Möglichkeit darin, dass der Staat diese Übersetzungsarbeit an eine Organisation auslagert, diese dann aber auch dafür bezahlt. Bei der Erarbeitung des Abstimmungsmaterials müsse in erster Linie der Staat die Verantwortung übernehmen. «Das Umfeld entscheidet oft vorschnell, dass sich eine Person nicht für politische Belange interessiert – in der Annahme, dass die Themen von deren Lebenswelt zu weit weg seien.» Jan Habegger, stellvertretender Geschäftsführer von Insieme Schweiz Im Fokus

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