ARTISET 09 I 2023 11 Solche flexiblen, individuellen Lösungen bedeuten eine Herausforderung für die Institutionen… Ja. Und es ist auch eine Entwicklung, die für die Institutionen nicht ganz konfliktfrei und auch nicht ohne Widerspruch ist. Soziale Institutionen respektive Sozialunternehmen befinden sich in einem dreifachen Spannungsfeld. Sie haben einen gesetzlichen Auftrag der Gesellschaft, einen von den betroffenen Personen sowie einen weiteren Auftrag aufgrund ihrer Profession. Ich verstehe Institutionen, die Schwierigkeiten damit haben, sich in diesem Spannungsfeld zu positionieren. Ich habe aber auch Verständnis für die entsprechenden Anforderungen des Marktes, der Sozialversicherungen und für die Wünsche der betroffenen Personen. Die UN-BRK fordert sehr radikal eine De-Institutionalisierung, Teilhabe und Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Ihre Meinung? Ich finde es immer wichtig, eine Orientierung zu haben, ein Ideal oder ein Ziel zu formulieren – auch, um dann darüber einen Dialog führen zu können. Um die Postulate der UN-BRK umzusetzen, braucht es Zeit, Differenzierungen und den Austausch zwischen den beteiligten Akteuren. Dazu gehört auch der bestehende Arbeitsmarkt. Ich denke allerdings nicht, dass der Arbeitsmarkt, so wie er heute funktioniert, die UN-BRK unmittelbar umsetzen kann. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es möglich ist, gemeinsam den Arbeitsmarkt so zu erweitern, dass eine zunehmende Annäherung an die Forderung möglich wird. Was verstehen Sie unter dieser Erweiterung des Arbeitsmarktes? Wir müssen uns zunächst darüber klar werden, worum es grundsätzlich geht. Die Fachpersonen der beruflichen Integration können betroffene Personen dabei unterstützen, sich den Anforderungen des Marktes anzunähern. Gleichzeitig kann der bestehende Markt vermehrt Arbeitsplätze an die Voraussetzungen der Personen anpassen. Ich glaube allerdings, wir brauchen auch neue Formen von Dienstleistungen, neue Branchen und neue Betriebskonzepte, die von einer inklusiven Gesamtgesellschaft abgeleitet sind und von allen Menschen aktiv mitgestaltet werden. Sind Unternehmen im allgemeinen Arbeitsmarkt bereit dazu, solche Ideen zu unterstützen? Den Vorwurf, dass der allgemeine Arbeitsmarkt keinen Beitrag leisten will, hinterfrage ich. Der Arbeitsmarkt ist aus meiner Sicht in erster Linie ungenügend informiert. Es braucht also im Kern keine gesetzlichen Leistungen wie Quotenregelungen oder andere regulierende Massnahmen. Gefragt ist vielmehr eine edukative Leistung, welche wiederum die sozialen Institutionen erbringen können. Was verstehen Sie unter dieser edukativen Leistung der Institutionen? Ein Beispiel für das Interesse des allgemeinen Arbeitsmarktes ist die Schweizerische Post. Dort werden aktuell Möglichkeiten zur Teilhabe und zur beruflichen Integration geschaffen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Unterstützungsleistungen in die Wirklichkeit der Unternehmen übersetzt werden können. Dabei geht es darum, die Bedürfnisse der Betroffenen mit der Realität der Arbeitgebenden in Einklang zu bringen. Wie gelingt den Sozialunternehmen eine solches Übersetzungsleistung? Das ist ein sehr individueller Prozess, der die spezifischen Möglichkeiten der einzelnen Betriebe berücksichtigen muss. Und die Sozialunternehmen müssen ihrerseits prüfen, welche Kompetenzen sie haben, auch wie und mit welchen Partnern sie die Übersetzungsarbeit leisten können. Können Sie diese Übersetzungsleistung konkretisieren? Der wachsende Markt an Jobcoaching-Angeboten erbringt beispielsweise eine solche Leistung. Im Kanton Aargau etwa haben mehrere Sozialunternehmen gemeinsam die Learco ins Leben gerufen, um Betroffene und Arbeitgebende gleichermassen zu unterstützen. Oder es gibt soziale Institutionen, die Gebäude kaufen, um einen Teil davon an Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes vermieten. Ein solches Beispiel ist das Mehrwerk Uster. Das soziale Unternehmen operiert auf diese Weise inmitten anderer Betriebe. Dadurch gibt es einen Rollenwechsel und es entsteht ein niederschwelliger DIE GRUNDLAGENWERK AG Als gemeinnützige Aktiengesellschaft 2018 in Wangen bei Olten gegründet, hat die Grundlagenwerk AG das Social Franchising in der Sozialbranche etabliert. Aushängeschild dafür ist das Projekt Restwert, das mittlerweile in der ganzen Schweiz an über 20 Standorten von sozialen Institutionen umgesetzt wird. «Restwert» richtet sich an Menschen mit Eingliederungspotenzial im kaufmännischen Bereich. Es übernimmt den kompletten Aufwand beim Verkauf gebrauchter Artikel auf einer Online Handelsplattform. Ebenfalls mittels Social Franchising geht mit «Fundpark» demnächst ein weiteres Projekt an den Start, das sich an Menschen mit Eignung im Bereich Mediamatik richtet. Das Grundlagenwerk erbringt zudem Beratungsleistungen, organisiert Tagungen und hält Referate zum Thema der sozialen Innovation.
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