Grenzverletzungen angehen | Magazin ARTISET | 9 2024

ARTISET 09 I 2024 21 Wie ist das Vorgehen in solchen Situationen? Wir haben ein Meldeprotokoll eingeführt, das bei einer Verletzung der Integrität zur Anwendung kommt – und zwar unabhängig davon, ob die Person Opfer oder Zeuge ist. Den Betroffenen steht es frei, externe Ressourcen in Anspruch zu nehmen, zum Beispiel eine professionelle Ombudsstelle, oder sich intern an jemanden zu wenden. Das bestehende Dispositiv innerhalb unserer Stiftung fördert die Gesprächskultur und bietet individuelle Supervisionen an, damit die betroffenen Mitarbeitenden ein Ereignis nicht allein verarbeiten müssen und wieder Vertrauen fassen können. Die geschädigte Person hat natürlich das Recht, Strafantrag zu stellen. Wir informieren sie darüber, ohne sie jedoch zu ermutigen oder ihr davon abzuraten, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Bei schwerer Gewalt behält sich die Geschäftsleitung der Stiftung das Recht vor, die Justiz einzuschalten, was das gleiche Verfahren auslöst wie beim Stellen eines Strafantrags. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass wir von der gewaltausübenden Person verlangen, die Institution zu verlassen. Und was unternehmen Sie auf Seiten der Dienstleistungsnutzenden respektive der Bewohnenden? Wir treffen eine Reihe von Massnahmen. Als Erstes weisen wir einmal mehr und deutlich auf unsere Nulltoleranz gegenüber grenzüberschreitenden Handlungen jeglicher Art hin. Danach führen wir ein Gespräch mit der gewaltausübenden Person, damit sie sich ihrer Handlung und deren Konsequenzen bewusst wird. Dabei arbeiten wir auch mit dem externen Verein Expression, der in der Gewaltberatung und Gewaltprävention tätig ist, sowie mit dem beruflichen und privaten Umfeld der Person zusammen. Für schwerere Fälle haben wir ein Verwarnungssystem eingeführt, damit die Person versteht, dass ihre Handlung nicht zu unterschätzen ist und wir die Situation sehr ernst nehmen. Nach drei Verwarnungen muss die Person gehen. Wie lassen sich Eskalationen verhindern? Wir verwenden ein Protokoll, das einem Beobachtungssystem ähnelt und uns ermöglicht, komplexe Situationen zu antizipieren. Wir erheben und teilen Beobachtungen zum Verhalten der Person in ihrem Lebens- und Arbeitsumfeld sowie im Umgang mit den Mitarbeitenden oder Angehörigen. Ziel dabei ist es, Vorzeichen und Risikofaktoren zu erkennen, die zu einer Eskalation führen könnten, und die Krise rechtzeitig abzuwenden. Neben der Intervention ist die Prävention grenzverletzender Verhaltensweisen wichtig. Was unternehmen Sie hier? Zurzeit fehlt es uns an einer echten Strategie zur Prävention von Grenzverletzungen. Wir führen jedoch verschiedene Aktionen durch, um unsere Zielgruppen für das Thema zu sensibilisieren. So organisieren wir jeden Herbst ein dreitägiges «In-Training» – eine Informations- und Schulungsveranstaltung für alle neuen Mitarbeitenden und Praktikanten. Ziel ist es, sie mit Blaise Curtenaz: «Zurzeit fehlt uns noch eine echte Strategie zur Prävention von Grenzverletzungen.» Foto: amn

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