Grenzverletzungen angehen | Magazin ARTISET | 9 2024

ARTISET 09 I 2024 3 Editorial «Fachpersonen sind aufgrund ihrer Professionalität zwar sensibilisiert für solche Fragen, sie tragen aber auch eine besonders hohe Verantwortung.» Elisabeth Seifert, Chefredaktorin Liebe Leserin, lieber Leser Eine fragile körperliche, psychische oder kognitive Verfassung macht Menschen abhängig von ihrem sozialen Umfeld, von Angehörigen, aber auch von Fachpersonen im ambulanten oder stationären Bereich. Diese Abhängigkeit verleitet die scheinbar Starken – bewusst oder unbewusst – immer wieder dazu, über diese Menschen zu bestimmen, ihre Meinung und Haltung nicht zu respektieren oder gar ihre körperliche Integrität nicht zu wahren. Grenzverletzungen haben viele verschiedene Ausprägungen. Ganz besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderungen sowie betagte und hochbetagte Menschen. In die gesellschaftliche Debatte Eingang gefunden haben zunächst Grenzverletzungen gegenüber Minderjährigen, gerade auch die sexualisierte Gewalt. Seit einigen Jahren wächst das allgemeine Bewusstsein dafür, dass auch ältere Menschen vermehrt von Gewalt betroffen sind. Und jetzt, ausgelöst durch den Bericht des Bundesrats zur Gewalt an Menschen mit Behinderungen, wächst die Sensibilisierung für die Gewaltthematik auch in diesem Bereich. Wichtig ist, dass sich gerade auch Leistungserbringer mit möglichen Grenzverletzungen auseinandersetzen. Fachpersonen sind aufgrund ihrer Professionalität zwar sensibilisiert für solche Fragen, sie tragen aber gleichzeitig auch eine besonders hohe Verantwortung. Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren hat in der Folge des genannten bundesrätlichen Berichts denn auch Mitte Juni 2024 ein «Positionspapier» verabschiedet, in dem sich die Kantone unter anderem dazu bekennen, den Schutz vor Gewalt in stationären Angeboten auszubauen (Seite 10). Unabhängig davon sind eine Reihe von Institutionen aus den verschiedenen Unterstützungsbereichen derzeit damit beschäftigt, das Thema Grenzverletzungen mit besonderen Massnahmen anzugehen. Mit dem Alters- und Pflegezentrum Serata in Zizers GR wendet erstmals eine Einrichtung im Altersbereich den Bündner Standard an, um die Mitarbeitenden noch besser für das Thema zu sensibilisieren – und eine «Kultur des Hinschauens» zu entwickeln (Seite 6). Die beiden Behinderteninstitutionen Le Foyer in Lausanne und Fara in Fribourg setzen auf das Konzept «Bientraitance», was frei übersetzt «gute Behandlung» bedeutet: Unter anderem sollen eine gute Gesprächskultur sowie die Partizipation von Bewohnenden Machtmissbrauch verhindern (Seiten 16 und 20). In der Zürcher Kinder- und Jugendinstitution GO DEF sind die Verantwortlichen derzeit mit der Überarbeitung des Verhaltenskodex beschäftigt, der Mitarbeitende und Schutzbefohlene in die Pflicht nimmt (Seite 24). Den zweiten Teil des Magazins prägen zwei für den Bereich der Langzeitpflege wichtige politische Themen: Curaviva-Geschäftsführerin Christina Zweifel analysiert gemeinsam mit Catherine Bugmann, Projektleiterin Politik von Artiset, die Umsetzungsschritte der Pflegeinitiative (Seite 34). Ende November kommt die Vorlage zur einheitlichen Finanzierung vors Stimmvolk: Die Bedeutung dieser Vorlage gerade auch für die Langzeitpflege erläutern Tschoff Löw, der Leiter Politik von Artiset (Seite 45), sowie Artiset-­ Geschäftsführer Daniel Höchli (Seite 50). Titelbild: Grenzverletzungen sind für betroffene Menschen jeden Alters sehr belastend. Foto: Symbolbild/Marco Zanoni

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