Grenzverletzungen angehen | Magazin ARTISET | 9 2024

ARTISET 09 I 2024 31 Das Centre du Nouveau Prieuré in Chêne-Bougeries (GE) ist ein innovativer Lebensort. Unterschiedliche Generationen und Bevölkerungsgruppen leben hier unter einem Dach zusammen. Nach sechs Jahren evaluieren die Verantwortlichen das Projekt. Eine Studie belegt, dass das Zentrum insgesamt modellhaft für ein erfolgreiches Zusammenleben steht. Daneben zeigt sie auch Verbesserungsmöglichkeiten auf. Von Anne Marie Nicole Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, das vor über 20 Jahren an die Hand genommen wurde: «Le Nouveau Prieuré ist ein grosses Abenteuer, das auf Veränderung setzt. Es ist das Projekt eines lebendigen, offenen Ortes, an dem mehrere Generationen aufeinandertreffen. Wir haben die besten Ideen anderer Einrichtungen von hier und anderswo übernommen und mit unseren eigenen Überlegungen und Erfahrungen ergänzt. Wir möchten uns von einem Ort der Pflege zu einem Ort des Lebens entwickeln, an dem die Autonomie und Selbstbestimmung der Menschen im Mittelpunkt stehen.» Mit diesen Worten stellte das Bureau Central d’Aide sociale (BCAS), eine gemeinnützige Privatstiftung, die Grundzüge des künftigen intergenerationellen Zentrums vor, das in Chêne-Bougeries (GE) errichtet wurde. Das war im Frühjahr 2003, als der Architekturwettbewerb lanciert wurde. 2016, bei der Einweihung des Centre intergénérationnel du Nouveau Prieuré, mangelte es nicht an Attributen und Superlativen, um dieses Zukunftsmodell zu beschreiben: ehrgeizig, vielversprechend, gewagt, noch nie dagewesen, revolutionär ... Es stimmt: Dieses Modell für das Zusammenleben verschiedener Generationen und Bevölkerungsgruppen ist in seiner Art einmalig. Es umfasst vier Partnereinrichtungen und etwa 300 Personen im Alter von vier Monaten bis 104 Jahren. Und wie das BCAS in einer kürzlichen Mitteilung unterstreicht: «Die Aufgabe war nicht leicht. Es waren über zehn Jahre gemeinsame Planung der beteiligten Einrichtungen und Gespräche mit den lokalen Behörden erforderlich, bevor 2011 der Grundstein gelegt werden konnte.» Heute rahmen drei Gebäude den überdachten Dorfplatz ein. Darin befinden sich das Alters- und Pflegeheim Le Nouveau Prieuré, das in Form von Gemeinschaftswohnungen mit je acht Einzelzimmern und insgesamt 144 Plätzen organisiert ist, eine Einrichtung der Stiftung Clair Bois mit einem Tagesheim und einem Wohnheim für 24 Menschen mit einer Mehrfachbehinderung, eine Kita der Gemeinde Chêne-Bougeries mit 63 Plätzen, auf einer Etage ein Studentenwohnheim mit 24 Plätzen, Mietwohnungen und ein öffentlich zugängliches Restaurant, «Le Trait d’Union», was so viel heisst wie «Bindestrich». Der gesamte Komplex ist fröhlich und leicht gehalten. Die Fassaden spielen mit vortretenden Elementen und Hohlräumen – wie ein Schachbrettmuster aus warmen Tönen, die zwischen Gelb, Orange und Rot abwechseln. Ein Leitbild für das Zusammenleben Alle Partnereinrichtungen verfolgen ihre institutionellen Projekte unabhängig voneinander, wobei sie sich jedoch einem gemeinsamen Leitbild – «Vivre ensemble» (zusammen leben) – verpflichtet haben. Es fasst die Philosophie des Zentrums wie folgt zusammen: «Alle Bewohnenden haben unabhängig von ihrem Alter oder ihrer Behinderung ein Recht auf die Achtung ihrer Autonomie und ihrer persönlichen Freiheit durch die Umsetzung eines personalisierten Lebensprojekts. Sie haben Anspruch auf soziale Integration durch Interaktion mit anderen Bewohnenden, insbesondere durch generationsübergreifende Aktivitäten, die von den Partnereinrichtungen angeboten werden.» Um diese Partnerschaft mit Leben zu füllen, wacht auf betrieblicher Ebene ein Direktionskollegium über die Einhaltung der Grundsätze und Werte des Leitbilds von Nouveau Prieuré. Intergenerationalität ist für manche ein überstrapazierter Begriff – Augenwischerei. «Denkt man bei IntergeneDas Centre du Nouveau Prieuré in Chêne Bougeries (GE) wurde im Jahr 2016 eingeweiht. Heute leben hier 300 Menschen unterschiedlichen Alters und mit vielen verschiedenen Bedürfnissen. Foto: amn

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