ARTISET 09 I 2024 7 Im Fokus Der Bündner Standard, ursprünglich 2011 für Institutionen im Kinder- und Jugendbereich entwickelt, findet nun auch bei der Prävention von Gewalt und Grenzverletzungen im Altersbereich Anwendung. Erstmals wurde der Bündner Standard jetzt in einem Alters- und Pflegeheim eingeführt. Dominique Cerveny, Leiterin des Alters- und Pflegezentrums Serata in Zizers, erzählt von ihren Erfahrungen. Von Reka Schweighoffer* Im Alters- und Pflegezentrum Serata werden rund hundert pflegebedürftige Betagte und an Demenz erkrankte Menschen betreut. Das Pflegeheim liegt im idyllischen Zizers, eingerahmt von Bündner Bergen und mitten in einer gepflegten Gartenanlage. Es ist Teil der Stiftung «Gott hilft». Die Stiftung «Gott hilft» entwickelte 2011 den Bündner Standard für Institutionen des Kinder- und Jugendbereichs. Das Produkt wurde ein übersichtliches und anwendungsfreundliches Hilfsmittel, welches dabei unterstützt, Grenzverletzungen zu vermeiden oder professionell aufzuarbeiten. Vor fünf Jahren hat die Stiftung entschieden, dass sie eine zielgruppenunabhängige Version vom Bündner Standard erstellt, die auch in anderen sozialen Einrichtungen genutzt werden kann und online verfügbar ist. Bei einem Austausch innerhalb der Stiftung entwickelte sich bei Dominique Cerveny, der Institutionsleiterin des Alters- und Pflegeheims Serata, ein grosses Interesse daran, den Bündner Standard auch in ihrer Institution einzuführen. Auf den ersten Blick scheinen Pflege und Pädagogik zwei völlig unterschiedliche Arbeitsfelder zu sein. Wenn man jedoch genauer hinsieht, gibt es gemäss Dominique Cerveny viele Parallelen zwischen der Phase der Kindheit sowie Jugend und der letzten Lebensphase. Die grösste Gemeinsamkeit sei, dass es sich um Menschen handelt, die aus verschiedenen Gründen Unterstützung benötigen. Und überall dort, wo Menschen gemeinsam unterwegs sind, können herausfordernde Situationen entstehen. Besonders motivierte Dominique Cerveny an der Einführung des Bündner Standards, dass Gewalt und Grenzüberschreitungen Themen sind, die alle Mitarbeitenden betreffen. Im Alterszentrum Serata wurden bis anhin ausschliesslich Mitarbeitende aus der Pflege und Betreuung zum Umgang mit Gewalt geschult, während das Personal aus dem Service oder der Reinigung traditionell keine Schulung erhielt. Das sei schade, denn diese hätten genauso Kontakt mit den Bewohnenden. Es war also eine grosse Chance, dieses Pilotprojekt als gesamten Betrieb in Angriff zu nehmen. Dies, obwohl bis zu diesem Zeitpunkt kaum jemals ein Bericht über eine Grenzüberschreitung bei der Institutionsleiterin eingegangen ist. Ein erstes Verständnis entwickeln Im Frühling 2023 fand der Kick-off des Projekts «Bündner Standard» statt. In den Tüten auf den Sitzplätzen der Mitarbeitenden war das Popcorn für den Kick-off-Anlass mit Ras el Hanout gewürzt, einer traditionellen Gewürzmischung aus Nordafrika, die aus bis zu 30 verschiedenen Gewürzen besteht. Genauso reichhaltig wurde das Projekt Bündner Standard angekündigt. Weil der gesamte Betrieb mit dem Bündner Standard arbeiten würde, sollte jeder und jede Mitarbeitende seine eigenen Erfahrungen einbringen. So tauchte der ganze Betrieb entlang der zehn Kernelemente des Bündner Standards ins Thema ein und bekam ein erstes Verständnis für Grenzverletzungen und die dazugehörenden Facetten. Für die Begleitung der Einführung wurde ein interdisziplinäres, fünfköpfiges Prozessbegleitungsteam gebildet, das bereits Erfahrungen mit der Implementierung des Bündner Standards aus dem Kinder- und Jugendbereich mitbrachte. Gemeinsam wurde beschlossen, dass im ersten Projekthalbjahr DER BÜNDNER STANDARD Der Bündner Standard ist ein Instrument, das im Kinder und Jugendbereich entwickelt wurde, um Grenzverletzungen zu vermeiden oder professionell aufzuarbeiten. Die neue Version des Standards ist online verfügbar und kann auch für andere Institutionen genutzt werden, beispielsweise für Institutionen für Menschen mit Behinderung oder für Pflegeheime. Das Einstufungsraster, welches die Grenzverletzungen auf allen Beziehungsebenen definiert, lässt sich für jede Organisation individuell anpassen.
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