Innovationen entwickeln und umsetzen

ARTISET 06 I 2023 21 Um sich mit Piktogrammen in allen Situationen des Alltags und für alle verständlich ausdrücken zu können, hat die Fondation Clair Bois ein universelles Hilfsmittel entwickelt: den Kommunikationsfächer mit 24 Bildern. Von Anne-Marie Nicole Die Fondation Clair Bois wurde vor mehr als 45 Jahren im Kanton Genf gegründet. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Begleitung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit mehrfacher und komplexer Behinderung und einem hohen Grad an Pflegebedürftigkeit sowie starken motorischen, sprachlichen, kommunikativen undWahrnehmungseinschränkungen. Seit einigen Jahren besteht die Stiftung aus vier verschiedenen Zentren mit unterschiedlichen spezifischen Leistungsangeboten. Das Kinder- und Jugendzentrum bietet vorschulische und schulische Aktivitäten für Kinder und Jugendliche mit komplexer Behinderung an. Es zählt zwei Schulen und Schulheime, welche die Kinder flexibel und mit Rücksicht auf ihre Bedürfnisse, die sich laufend ändern können, quasi à la carte aufnehmen. Der Standort Chambésy betreut 30 Kinder mit komplexer Behinderung von ihrer Geburt bis zum Alter von 10 Jahren. Die Kinder bauen hier ihr Wissen und ihre Kompetenzen auf und entwickeln ihre kognitiven Funktionen und sozio-affektiven Fähigkeiten unter anderem durch sprachliche Aktivitäten, das Erkunden der Umwelt und die Sozialisierung. «Wir fördern die Entfaltung und Sozialisierung der Kinder. Dies erfordert eine angepasste Schule, Begegnungen und den Kontakt mit der Umwelt. Wir fahren Ski, klettern, oder segeln. Wir leben aktive Inklusion», sagt Marc Gance, Geschäftsführer des Kinder- und Jugendzentrums. «Unser Ziel ist eine möglichst gute Teilhabe, selbst bei schweren Behinderungen mit starken Einschränkungen in der mündlichen Kommunikation», ergänzt er und beruft sich dabei auf die Grundsätze der Behindertenrechtskonvention der Uno (UN-BRK) und insbesondere auf den Zugang zu Kommunikation gemäss Artikel 2: «Sprachen, Textdarstellung, Brailleschrift, taktile Kommunikation, Grossdruck, leicht zugängliches Multimedia sowie schriftliche, auditive, in einfache Sprache übersetzte, durch Vorleser zugänglich gemachte sowie ergänzende und alternative Formen und Mittel der Kommunikation, einschliesslich leicht zugänglicher Informations- und Kommunikationstechnologie.» Mit dem von ihr entwickelten Hilfsmittel für eine einfachere Kommunikation zwischen den Menschen mit Behinderung und ihren Begleitpersonen kann die Fondation Clair Bois fast alle Punkte abhaken. Kommunikation ermöglichen Der Kommunikationsfächer – so heisst das Hilfsmittel – ist nicht grösser als ein Handy und deutlich leichter. Er passt problemlos in die Tasche und ist so immer zur Hand. Er ist plastifiziert und darf also auch nass werden. Er öffnet sich wie ein Spiel von vierzehn Karten. Auf zwölf Karten findet man vorne und hinten Piktogramme und auf zwei Karten sind die zweimal zwölf Begriffe aufgelistet, die auf den beiden Seiten der Karten dargestellt sind, beispielsweise ja, nein, guten Tag, auf Wiedersehen, bravo, helfen, essen, zufrieden, verärgert, Angst oder Schmerzen. «Fast allen Kindern und der Mehrheit der Erwachsenen in Clair Bois ist die Kommunikation in Lautsprache verunmöglicht», erklärt Marc Gance. Infolgedessen ist es schwierig zu wissen, ob ein Kind noch Durst oder Hunger hat, ob es zur Toilette muss oder rausgehen möchte, ob es zufrieden ist oder Schmerzen hat. Für das Kind andererseits ist es schwierig zu sagen, was es will oder was es braucht. Dies kann zu Frustrationen führen. «Die Herausforderung ist deshalb, ihm die Kommunikation zu ermöglichen und die Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, beispielsweise eine Bewegung, Vokalisation, Berührung oder eben das Zeigen eines Piktogramms», führt er aus. Jean-Michel Ripoli ist Ergotherapeut. Er arbeitet seit fast 25 Jahren bei Clair Bois, zuerst mit Erwachsenen, heute mit Kindern. In all dieser Zeit hat er mit den Bewohnerinnen und Bewohnern Bilder als Kommunikationsmittel verwendet. Das sticht auch sofort ins Auge, wenn man die Förderschule in Chambésy betritt: überall Piktogramme, an den Wänden, Türen, Schränken und Fensterscheiben. Sie dienen als Wegweiser für die Physiotherapie, das Schwimmbad, Sensorium, Esszimmer oder als Ankündigung des Wochenprogramms. Die langjährige Berufserfahrung kam Jean-­ Michel Ripoli bei der Entwicklung des Kommunikationsfächers – zusammen mit einer Logopädin, Fachlehrerinnen und einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der Stiftung – entgegen. Nach zahlreichen Versuchen veranschaulichen die Piktogramme nun die wichtigsten und im Alltag der Kinder Auch dieses Mädchen mit einer komplexen Behinderung kann dank Piktogrammen, die teils eigens von der Fondation Clair Bois entwickelt wurden, dem Betreuer seine Bedürfnisse mitteilen Foto: amn

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