Innovationen entwickeln und umsetzen

ARTISET 06 I 2023 43 sogar die Nachbarschaft waren am Prozess beteiligt. Während der Bauarbeiten fanden mehrere Treffen vor Ort statt. Ziel dabei war es, die Mitwirkung bei der Gestaltung des zukünftigen Wohnortes zu fördern. Gartenarbeit als verbindende Tätigkeit So fand zum Beispiel im gemeinsamen Lebensraum im Erdgeschoss des renovierten Herrenhauses ein Koch-Workshop statt, der zeigte, wo Probleme lagen und wie sie sich mit einer Schalldämmung und mehr Helligkeit lösen liessen. Während der Mediationsworkshop mit Figuren nur mässigen Anklang fand, erwies sich die Gartenarbeit als äusserst verbindende Tätigkeit: Die Teilnehmenden entdeckten ein gemeinsames Interesse und zeigten über alle Unterschiede hinweg eine grosse Hilfsbereitschaft. Bei einem weiteren Treffen wählten die zukünftigen Bewohnenden die Farben für Türen und Fliesen sowie die Bodenbeläge. Auch die beiden Architektinnen, die den Wettbewerb für das Bauvorhaben gewonnen hatten, waren eingebunden. Sie sprachen ihre Baupläne mit den Bewohnerinnen und Bewohnern ab und berücksichtigten deren Erwartungen. Nach ihrem Einzug im März 2021 stellten die Bewohnenden gemeinsam die Regeln für das Zusammenleben auf, die letztlich aus wenigen, aber klaren Worten bestehen: «Jeden Menschen als einzigartig und verschieden betrachten. Die Besonderheiten jeder einzelnen Person annehmen. Sich trauen, die eigenen Grenzen aufzuzeigen.» In dieser Projektphase erhielt das Theaterensemble Le Caméléon den Auftrag, ein interaktives Bühnenstück zu erarbeiten. In diesem Rahmen haben die Bewohnerinnen und Bewohner den Namen für ihren Lebensraum gefunden und den gleichnamigen Bewohnerverein «Les Sureaux» ins Leben gerufen. Der Vorstand besteht aus drei Bewohnenden der Fondation Ensemble und drei Vertretenden der Codha. Die beiden Genossenschafter Jean und Léo sind erstaunt, mit welcher Ernsthaftigkeit die Mitglieder mit einer geistigen Beeinträchtigung die Themen aufgreifen. «Sie wissen viel darüber und sind besser auf die Generalversammlungen vorbereitet als wir», betont Léo. Der Verein ist für die Verwaltung des Standortes verantwortlich und beweist den Erfolg des partizipativen Ansatzes. Zudem verfolgt er das Ziel, zu einer selbstständigen Lebensführung zu verhelfen. Vorbildcharakter für inklusivere Gesellschaft In der Wohngenossenschaft Les Sureaux verläuft das Leben im Rhythmus der Vorschläge und Projekte, welche die verschiedenen Gruppen von Bewohnerinnen und Bewohnern erarbeiten, zum Beispiel die Gruppen Ausseneinrichtung, Hühnerstall, Zusammenleben und Kommunikation. Draussen überlegt sich das Schreinerei-Team, wie es die Seitenwände der Kompostbehälter am besten anbringen kann, nimmt entsprechende Messungen vor und testet verschiedene Möglichkeiten. Wenige Schritte entfernt wartet der Hühnerstall nur noch auf seine gefiederten Bewohner. «Hier gibt es immer etwas auszuprobieren», so Véronique Auguste. In ihren Augen ist das Projekt Les Sureaux ein Vorhaben, das Vorbildcharakter für eine inklusivere Gesellschaft hat und das Bewusstsein bildet. «Manchmal braucht es Mut zum Risiko, auch wenn es mal schiefgeht. Dazu müssen auch die Angehörigen und Fachteams lernen loszulassen.» Bis jetzt war die Stiftung die treibende Kraft dieses Abenteuers. «Nun müssen wir uns zurückziehen, damit sich die Bewohnenden den Ort richtig zu eigen machen können.» Jérôme Laederach bleibt bescheiden: «Bis zur Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderung ist es noch ein langer Weg. De-Institutionalisierung gelingt nur, wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten.» Jérôme Gaudin, leidenschaftlicher Verfechter der De-Institutionalisierung, wird die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohngenossenschaft noch eine Zeit lang begleiten. «Ich bin stolz, Teil eines Projekts zu sein, das die Ausübung der Staatsbürgerschaft fördert und zu einem Empowerment verhilft, das sonst nicht möglich gewesen wäre.» Ein klares Symbol dieser Öffnung war die Entfernung des Zauns, der das Herrenhaus Claire Fontaine bis zum Beginn der Bauarbeiten umgeben hatte. Vorbild für Inklusion: Das vollständig renovierte Herrenhaus der Wohngenossenschaft Les Sureaux. Foto: amn

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