Innovationen entwickeln und umsetzen

ARTISET 06 I 2023 47 sich Andrea Abraham bewusst. Aber: «Die Seiten sind schlicht gehalten, damit sie für jüngere und ältere Kinder und für jene mit einer Autismusproblematik anwendbar sind.» Mit ein paar Klicks lassen sich Zusatzgadgets dazuschalten, Farben oder Figürchen, die über die Seite wandern. Lebendig werden die Seiten allerdings erst durch Einträge, Videos und Fotos aus dem Kinderalltag. Damit die leere digitale Seite nicht abschreckt und Kinder und Jugendliche sowie Fachpersonen einen kreativen Einstieg finden, entwickelte das Team einen Methodenkoffer. Zunächst bauten sich die Kinder und Jugendlichen, begleitet von ihren Bezugspersonen, mit Hilfe von Lego Serious Play einen Ort, an dem sie sich wohlfühlen. Gemeinsam besprachen sie dann, was ihnen dieser Ort bedeutet. Das gab einerseits den Forschenden erste Hinweise darauf, was Kindern und Jugendlichen in Bezug auf ihre Zugehörigkeit wichtig ist. Andererseits entstand so eine Palette an Hilfsmitteln, die den Einstieg in die schmucklose Seite vereinfachen: Kinder könnten einen Steckbrief über ihr Kuscheltier schreiben, oder ein Gespräch mit einem Gspänli aufzeichnen. Polaroid-Kamera, Diktiergerät und Vorlagen zum Basteln und Zeichnen halfen über die kreative Leere hinweg. Methoden aus Kunsttherapie und Erlebnispädagogik halfen, an die reale Erlebniswelt anzuknüpfen und daraus digitale Möglichkeiten zu entwickeln: Mit einem Mädchen besuchte die Bezugsperson einen Baum, auf dem es oft sitzt und andere beobachtet. Das ist sein «geheimer Ort», und er diente als Einstiegshilfe für einen digitalen Eintrag mit Fotos vom Baum, einer Beschreibung des geheimen Ortes und ein paar Gedanken dazu – und plötzlich war die digitale Seite gefüllt mit spannenden Möglichkeiten. Und als die ersten Schwellen überwunden waren, sprudelten plötzlich die Ideen: Man könnte ein Interview gestalten mit dem sympathischen «Zivi» aus der Schule, und ein Bild von ihm dazustellen. Oder mit Freunden ein Video von einem Ausflug drehen, eine Zeichnung oder Fotos hochladen und damit die Erlebnisse multisensorisch dokumentieren. Andrea Abraham nickt: «Das ist wie ein Tagebuch mit Zusatzfunktionen. Und wir verweben und digitalisieren.» Nach anfänglicher Anleitung konnten Kinder ab zehn Jahren die Memorybox technisch gut handeln, ältere Jugendliche gingen ohnehin intuitiv damit um. Und bei der ersten Nachbefragung zeigte sich: Sogar jüngere Kinder finden eine digitale Speicherung vorteilhaft, «denn Blätter können verlorengehen», wie ein achtjähriges Kind meinte. Anders als bei Instagram und Co. sollen diese Seiten jedem Kind oder Jugendlichen ganz persönlich gehören. Dafür lassen sich ausgewählte Beiträge auf «privat» stellen, und bei Gesprächen mit Bezugspersonen im Rahmen von Biografiearbeit – und auch für die Studienbefragungen – dürfen die jungen Probandinnen und Probanden diese verschlossen halten. Sie verschwinden dann sogar von der Timeline. Nur Fachpersonen bringen sie zum Fliegen Ob die Memorybox zum Fliegen kommt, so viel ist bereits jetzt klar, hängt von den Fachpersonen der Institutionen ab. «Der Wert von Biografiearbeit in der Sozialpädagogik ist unbestritten», sagt Andrea Abraham. Jetzt müssten die Fachpersonen noch den Wert einer digitalen Memorybox sehen: «Das Ganze steht und fällt mit ihnen.» Erst recht bei Kindern unter 10 Jahren, bei denen der Einsatz von digitalen Mitteln meist restriktiv gehandhabt wird, und die mehr Unterstützung bei der Anwendung benötigen. Ältere Kinder und Jugendliche wiederum benötigen vor allem ein Zeitfenster und oft einen kleinen Anschubser, um sich dranzusetzen. Und das zu allen Aufgaben hinzu, die Sozialpädagoginnen und -pädagogen ohnehin schon tragen, und entgegen den Faktoren Zeit- und Personalmangel: «Harte Bedingungen, um ein zusätzliches Instrument einzuführen», weiss die Professorin. Aber sie hofft, dass viele Verantwortliche aus Institutionen sich von der Relevanz überzeugen lassen: Die Entwicklungsmöglichkeiten fremdplatzierter Kinder und Jugendlicher seien so erschwert durch Stigmata, die Lebensphase «Heim» so schwer in den Lebenslauf zu integrieren, dass das Mitzügeln wichtiger Momente enorm wichtig sei für Identitätsbildung und Selbstbild. Eine digitale Memorybox könne ein wichtiger Baustein sein für die Erzählung des Lebens: «Sie kann beitragen, dass der rote Faden der Kindheitserinnerungen nicht zerstückelt wird.» STUDIENTEILNEHMENDE GESUCHT Interessieren Sie sich dafür, an dieser Studie teilzunehmen?Gegenwärtigwerden 35 Kinder und Jugendliche gesucht. Gerne steht Ihnen die Projektmitarbeiterin Daniela Willener für einen Austausch zur Verfügung: +41 31 848 61 18, daniela.willener@bfh.ch. ➞ Projektinformationen finden Sie zudem über den folgenden QR-Code «Die Memorybox zeigt eine Sammlung bedeutsamer Momente, traurige ebenso wie glückliche.» Andrea Abraham Aktuell

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