Gewalt verhindern Magazin ARTISET 1-2 2023

ARTISET 01/02 I 2023 45 und das Gemeinwohl dem Profit zum Opfer fallen. Die empirische Basis in Zusammenhang mit den effektiven Auswirkungen von kantonalen Leistungspauschalen im stationären Behindertenwesen ist jedoch dünn. Um erhärtete Aussagen zu Ursachen-­ Wirkungs-Beziehungen machen zu können, müssen zunächst umfangreichere theoretische Grundlagen geschaffen werden. Hier hakt diese Studie ein und untersucht, welche Anreize kantonale Leistungspauschalen für stationäre Institutionen für Menschen mit Behinderung setzen. Das verbreitete und von der Ostschweizer und Zürcher Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK Ost+ZH) entwickelte Modell «Individueller Betreuungsbedarf (IBB)» bildet dabei den Bezugsrahmen. Betriebswirtschaftliche Anreize überwiegen Aus der explorativen Analyse ergeben sich verschiedene Hypothesen. Dabei zeigt sich, das betriebswirtschaftliche Anreize gegenüber fachlichen Anreizen überwiegen. Der Anreiz zu betriebswirtschaftlicherem Denken und Handeln besteht. Manifestationen davon sind Anreize zur Professionalisierung des Managements (Managementkompetenzen aufwerten, finanzielle Ziele stärker priorisieren, mehr Ressourcen für Administrationsarbeiten einsetzen), zu einem höheren Kostenbewusstsein (Kostenrechnung optimieren), zu einer stärkeren strategischen Planung (Angebotsdurchlässigkeit verhindern, Klientelstruktur betriebswirtschaftlich optimieren, Angebotsqualität verbessern, strategische Partnerschaften prüfen, Spendenerträge erhöhen) und zu Effizienzsteigerungen (Skaleneffekte nutzen, Auslastung optimieren). Kein Anreiz besteht zur Erhöhung der Angebotsvielfalt. Bezüglich der Effizienzsteigerung gibt die Plafonierung der Schwankungsfonds die Anreizgrenze vor. Diese besagt, dass ein Kanton ab einer definierten Obergrenze an allfälligen finanziellen Betriebsüberschüssen einer Institution partizipiert. Auf der fachlichen Seite bestehen Anreize, die zusätzlichen Ressourcen für administrative Tätigkeiten zulasten von fachlichen Tätigkeiten aufzuwenden und auch die fachlichenTätigkeiten betriebswirtschaftlich zu optimieren. Weitere Forschungsarbeiten sind erforderlich Die Überprüfung der Hypothesen und der empirische Beweis, dass durch die leistungsorientierten Finanzierungssysteme die Gesamteffizienz des stationären Behindertenwesens verbessert wird, sind ausstehend. Infolge der identifizierten Fehlanreize bezüglich der Angebotsvielfalt sind negative Auswirkungen des Finanzierungssystems auf die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Menschen mit Behinderung möglich. Eine Tendenz, inwiefern sich das leistungsorientierte Finanzierungssystem auf die Leistungsqualität der Institutionen auswirkt, kann aus den Ergebnissen nicht abgeleitet werden. Es gibt sowohl Anreize, die eine Verbesserung, als auch Anreize, die eine Verschlechterung der Leistungsqualität zur Folge haben können. Die identifizierten Anreize und die daraus folgende Hypothesen- und Theoriebildung liefern somit Grundlagen für weiterführende Studien. Bei der Weiterentwicklung der kantonalen Finanzierungssysteme ist es naheliegend, deren Fehlanreize zu eliminieren. Begrenzungen der unternehmerischen Freiheit wie die Plafonierung der Schwankungsfonds sollten aufgehoben werden. Dadurch können Fehlanreize zu Ineffizienzen, wie sie ökonomische Theorien voraussagen und wie sie mit den aktuellen Leistungspauschalen auftreten, reduziert werden. Durch die Möglichkeit, erwirtschaftete Überschüsse einzubehalten, können zudem Anreize zu Investitionen in die Angebotsvielfalt und -qualität entstehen. Voraussetzung hierfür sind ein transparentes Benchmarking mit fixen kantonalen Tarifen für die Infrastruktur- und Verwaltungsleistungen sowie die effektiven Betreuungsleistungen, der Wegfall der Angebotsplanung durch die SODK Ost+ZH und die Kantone, regelmässige Qualitätsüberprüfungen sowie die Gemeinnützigkeit der Institutionen für Menschen mit Behinderung. Um diesen Empfehlungen nachzukommen, müssen die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen in den Kantonen angepasst werden. Langfristig verläuft der Trend in Richtung Subjektfinanzierung, die einer stärkerenMarktentwicklung entspricht. Bei der Ausgestaltung entsprechender Finanzierungsmodelle können die in dieser Studie vorgeschlagenen Handlungsfelder als Anhaltspunkte dienen. * Ramon Beerli, MSc Public und Nonprofit Management. Er ist Mitglied der Geschäftsleitung und verantwortlich für den Bereich Kinder für die Gemeinnützige und HilfsGesellschaft der Stadt St. Gallen (GHG). Bei der Weiterentwicklung der kantonalen Finanzierungssysteme ist es naheliegend, deren Fehlanreize zu eliminieren. So gilt es etwa, Begrenzungen der unternehmerischen Freiheit wie die Plafonierung des Schwankungsfonds aufzuheben.

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